Alle Märkte des schwarzen Kontinents

Johannesburg wandelt sich zu einer neuen chaotisch-lebendigen Stadt informeller Strukturen

Seinem Ruf als Hauptstadt der Kriminalität, seiner eigentlich unattraktiven Landschaft und seiner Geschichte der Teilung und Diskriminierung zum Trotz, bleibt Johannesburg eine der am schnellsten wachsenden Metropolen des afrikanischen Kontinents. Verkehrt hat sich aber, als Resultat politischer Umbrüche, die Nutzung und Textur einer Stadt, die zu Zeiten der Apartheit durch klare räumliche rassistische Trennung definiert war: Im Zentrum siedelte und arbeitete die weiße Bevölkerung, die Peripherien und Townships blieben die Ghettos der Schwarzen.

Heute befindet sich Johannesburg in einer Phase des informellen Hyper-Wachstums, der zugleich eine Transformation nach sich zieht, die jedoch noch nicht beendet ist. Wir sind konfrontiert mit dem Chaos der Neuerfindung dieser Stadt – und leben auf der Grenze zwischen alten Mustern und neuer Nutzung. Zwar ist augenscheinlich, dass die traditionell organisierte Innenstadt stirbt. Der tatsächliche sowie der empfundene „Besitz“ der Innenstadt aber ist von der Mittelklasse auf die sozial schwächeren Klassen übergegangen, während sich die weißen Bürger in geschützte Vorstädt, samt Einkaufszentren und Büroblocks zurückziehen.

Die neue Bezirksregierung hat noch nicht gelernt, politische Macht in effektive Verwaltung umzusetzen, deshalb verharrt die gesamte Stadt noch immer im Zustand räumlicher Trennung. Ohne den Willen zur Umsetzung eines Planwerks zur Innenstadt und ohne steuerliche Vorteile von Seiten der Regierung bleibt dem Einzelnen die Alternative, sich den unmittelbaren Teil der Stadt zu eigen zu machen und ihn den unmittelbaren Bedürfnisses anzupassen.

Damit hat sich aber Textur der Oberfläche Johannesburgs im Zentrum radikal verändert. Die informellen Strukturen aus Kleingewerbe und Dienstleistungen durchziehen als gigantischer Straßenmarkt die Stadt, in offenem Wettbewerb zu den Ladeninhabern. Diese wiederum stellen ihre Güter vermehrt im Straßenraum aus, und die Fasaden der Gebäude werden zu bunten Aushängeschildern. Nichts bleibt unberührt, die Stadt ist voller Aktivität und Handel, und dient vor allem den Massen an Pendlern. Johannesburg bietet zugleich seinen Bewohnern die Möglichkeit zu sozialem und wirtschaftlichem Austausch. Kleinere Dienstleistungsbetriebe richten ihre Büros in der Stadtmitte ein, um ihrem Markt näher zu sein. Es bleiben auch die großen Banken in der Stadtmitte, die durch ihre Computeranlagen dort zwangsmäßig verankert sind. Ihre Arbeitnehmer bilden einen großen Teil der täglichen Bevölkerung der Stadtmitte.

Das Faszinierende an dieser Entwicklung ist: Wir haben eine Maximierung der Nutzung erreicht mit den Mitteln der bestehenden Infrastruktur. Wir haben ein neues afrikanisches Johannesburg erreicht durch die Handlungen von Menschen, die auf dringende und unmittelbare Bedürfnisse reagieren. Die Stadt erneuert sich ohne Steuerung: durch die Unterwanderung des öffentlichen Raumes mit neuen Nutzungen; durch die Bewohnung der Leerräume; durch die Umnutzung von Leerstand; durch die Herausforderung der Verwaltungkräfte auf jeder Ebene.

Die neue Stadt hat andere Nutzungsmuster, andere Texturen, andere Regeln, andere ordnungsgebende Energien. Was entstanden ist, kann nicht mehr weggedacht oder weggeplant werden. Es wird nun die Aufgabe der Politiker, Planer und Architekten sein, sich der schon geschaffenen Stadtordnung anzupassen durch kreative Interventionen.

Die Stadmitte ist keineswegs tot, auch wenn sie tot gesagt wird. Die problematischen Vororte mit ihrer paranoiden Kultur der Isolierung und ihrer geplanten Verschwendung der Mittel, können den Weg in die Zukunft nicht weisen. Johannesburgs Stadtmitte hat sich lediglich hingewandt zu ihrer unvermeidlichen Rolle als Freiraum in einer afrikanischen Stadt der Zukunft, die dem Vorbild der Vergangenheit niemals wieder nahe kommen wird.

HENNING RASMUSS