nebensachen aus nairobi
: Wenn ein NN einem Weißen begegnet, hapert es oft mit der Kommunikation

Kenias Metropole kann sehr kalt sein

Gleich bei einer meiner ersten Fahrten mit dem Taxi kam ich mit dem Fahrer irgendwie auf die kühle Jahreszeit in Nairobi im Juni zu sprechen. „Da wird es hier sehr kalt“, sagte er. Wie kalt? „Sehr kalt!“ Wie ich heute weiß, kann das Thermometer dann nachts unter zehn Grad sinken. Deshalb fragte ich: „In Grad Celsius?“ Worauf der Fahrer antwortete: „So misst man das bei uns nicht!“ Seitdem muss ich immer wieder schmunzeln, wenn ich trotz minimaler Schwankungen innerhalb der jeweiligen Saison den Wetterbericht mit Minimal- und Maximaltemperatur sehe bzw. höre, der in allen Medien täglich heruntergebetet wird. Dann kam die Überraschung über meine Gesprächspartner, die mich hilflos anblickten, wenn ich über die „Moi Avenue“ sprach. Diese nach dem aktuellen Präsidenten benannte Straße ist zugleich Hauptachse und häufigstes Postkartenmotiv der kenianischen Metropole, und ich musste mich aufklären lassen, dass Nairobis Normalbewohner (NN) nicht die Straßennamen kennt, sondern sich nach bekannten und auffälligen Punkten orientiert.

Das ist auch verständlich. Denn so orientiert man sich im Busch, und die meisten NN wurden nicht in Nairobi geboren und kehren vor ihrem Tod auch wieder in ihren Geburtsort zurück, um sich dort begraben zu lassen. Was im Busch angemessen ist, kann in der Stadt lästig werden. Hinweisschilder sind selten wie weiße Trüffel. Will man jemanden besuchen, werden die Wegbeschreibungen ermüdend lang – „Wenn du das grüne, flache Gebäude siehst, dann fährst du die Holperstraße den Berg hoch, und bei dem gestreiften Kiosk dann links. Dann nach circa. 500 Metern ...“ Deutlich erschwert wird die Suche nach einer Adresse dadurch, dass es auch kaum Hausnummern gibt.

Schnell aufgegeben habe ich auch, einem NN einen Stadtplan vorzulegen. Nervös wird er mit dem Finger dahin fahren, und noch nervöser dorthin, bis man die Karte wegnimmt, beschämt darüber, es nicht schon antizipiert zu haben: Woher soll ein NN eine Karte lesen können!

Und weiter: Wie viele Einwohner hat die Stadt? Schweigen. Wie hoch liegt sie? Nichts! So habe ich die Hypothese aufgestellt, dass die Wazungu (Kisuaheli = Weiße) in ihrer ihnen eigenen Eigentümlichkeit die Welt immer vermessen, definieren, einteilen müssen, während die NN dieses Bedürfnis einfach nicht haben.

Seitdem ich das akzeptiert habe, komme ich viel besser zurecht. Wenn ich jetzt wissen will, wie weit es bis zu einem bestimmten Punkt ist, frage ich nicht mehr nach Kilometern, sondern nach der Zeit, die nötig ist, um dort hinzukommen. Während ich früher nach der Auskunft „Fünf Kilometer!“ Stunden fahren konnte, komme ich heute nach der Antwort „20 Minuten!“ auch meistens dann dort an. Wenn ich etwas wissen will, was für Weiße selbstverständlich ist, dann schaue ich es nach und belästige nicht einen NN. Und wenn mich jemand fragt, wie kalt es in Nairobi werden kann, sage ich: „Kalt. Sehr kalt!“ PETER BÖHM