Das Schreckensbild ist ein Wiederaufbau à la Beirut

Der Süden des Libanon liegt nach dem Abzug der Israelis darnieder: Arbeitslosigkeit und Analphabetentum sind weit verbreitet. Günstlingswirtschaft wäre der Ruin

BERLIN/BEIRUT taz ■ „Wir brauchen eine Milliarde US-Dollar um den Süden wieder aufzubauen“, sagt Sati Arnaout. „Es kursieren viele Zahlen, aber eine Milliarde scheint mir angemessen.“ Arnaout war im vergangenen Jahr maßgeblich beteiligt an einer von den Vereinten Nationen und dem libanesischen Staat in Auftrag gegebenen Studie über den Zustand der so genannten Sicherheitszone im Süden des Landes, die mehr als zwei Jahrzehnte lang von israelischen Truppen besetzt gehalten worden war.

Damals war der Experte auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen. Seit dem überraschenden israelischen Rückzug aus dem Südlibanon Ende Mai hat er die Region selbst bereist. Seine schlimmsten Befürchtungen haben sich bestätigt. Unter der Besatzung ist der Süden Libanons von Israel abhängig geworden. Etwa 4.000 Libanesen pilgerten täglich über die Grenze, um als Hilfskräfte ihr Brot zu verdienen. Ein Israeli hätte das doppelte Gehalt verlangt. Doch inzwischen haben israelische Soldaten den Grenzzaun verriegelt. Nun gilt es, den Süden des Libanon wieder an den Rest des Landes anzukoppeln.

„Zum Wiederaufbau sind acht bis zehn Jahre Zeit nötig“, meint Arnaout. Die Probleme in der Region lauten: Arbeitslosigkeit, Analphabetismus, mangelhafte Entwicklung der Landwirtschaft und die Abwesenheit von Industrie. Hinzu kommen Umweltschäden durch bei Gefechten ausgelöste Waldbrände sowie Minen und Blindgänger auf potentiellen Ackerböden.

Einzig Tabak wird in der einstigen „Sicherheitszone“ angebaut. Doch der Anbau wird auch im nicht besetzten Süden von der libanesischen Regierung, die das Vertriebsmonopol hat, mit 20 Millionen US-Dollar jährlich subventioniert. „Tabak ist die einzige landwirtschaftlich verwertbare Pflanze, die keine Bewässerungsanlagen braucht“, erklärt Arnaout. „Aber für neue Arbeitsplätze muss die Landwirtschaft diversifiziert werden.“

Mit langwierigem Wiederaufbau hat der Libanon schlechte Erfahrungen gemacht. Der 1991 nach 15 Jahren beendete Bürgerkrieg hat das Land zerstört. Die Rekonstruktion des Zentrums der Hauptstadt Beirut ist ein abschreckendes Beispiel. Dort entstanden Prachtbauten, deren Mieten niemand bezahlen kann.

„Die Armut im Land hat nach dem Krieg noch zugenommen. 35 bis 40 Prozent der Libanesen leben unter der Armutsgrenze“, berichtet der Ökonom Sami Atallah vom Lebanese Center for Policy Studies. In dem auf einem komplizierten Proporzsystem der verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen aufbauenden libanesischen Staatssystem würden Aufträge zumeist „Freunden der Familie“ zugeschustert, also innerhalb der Staatsführung verteilt.

Die Folgen sind überall spürbar: ein Haushaltsdefizit von 45 Prozent im vergangenen Jahr und 51 Prozent im ersten Quartal des jetzigen Jahres. Vier Fünftel der staatlichen Einnahmen werden durch Schuldentilgung verschlungen. Die seit Ende 1998 amtierende neue Regierung hat dem Staat striktes Sparen verordnet. „Sie hat angekündigt, alles besser zu machen“, erinnert der Ökonom Atallah. „Aber schließlich entscheidet im Libanon nicht nur der Finanzminister über die Finanzen.“ Die Andeutung gilt ehemaligen Milizenschefs und ihren Günstlingen. Sie werden die Verträge für Projekte im Süden wahrscheinlich genauso unter sich aufteilen wie einst beim Wiederaufbau von Beirut.

Dort hat das Übel einen Namen: „Solidere“. Die 1994 gegründete Aktiengesellschaft sicherte sich den Exklusivvertrag für sämtliche Baumaßnahmen im Zentrum der Stadt. „Horizont 2000“ nannte der Hauptaktionär und damalige Präsident Rafik Hariri das Projekt. Bis zur Millenniumswende sollte Beirut wieder zum „Paris des Nahen Ostens“ geworden sein. Stattdessen werden Teile des Stadtbildes noch immer von zerschossenen Gebäuden geprägt. Banker behaupten, Solidere habe inzwischen eine Milliarde US-Dollar Verlust erwirtschaftet. Auf einer Protestveranstaltung gegen den Baugiganten nach dem Abzug der Israelis wetterte der Parlamentsabgeordnete und altgediente Solidere-Gegner Nadschah Wakim: „Ich hätte nie gedacht, dass es einfacher sein würde, den Süden von den Israelis zu befreien als Zentralbeirut von Solidere.“ THOMAS DREGER

Hinweis:Zu den wirtschaftlichen Problemen kommen ökologische: Minen und Blindgänger auf fruchtbarem Ackerboden, Waldschäden nach Feuergefechten