piwik no script img

gesprächskreise ziehen ihre kreise

von STEFAN GÄRTNER

Die Mainfrankfurter Buslinie 32 ist mir die liebste, weil sie niemals pünktlich kommt, geschweige denn pünktlich fährt, es sei denn, man selber ist zu spät, und ich finde es ganz einfach berückend, dass es noch Buslinien gibt, die das in sie gesetzte Klischeevertrauen so beharrlich rechtfertigen.

In diesem schönen Bus saßen kürzlich vor mir zwei Damen, die eine vielleicht Anfang dreißig, die andere Mitte fünfzig, und unterhielten sich sehr angeregt und gut verständlich u. a. über Baby- und Kinderpflege, Kinderaufzucht auf dem Land vs. Kinderaufzucht in der Stadt, Nachbarschaftssolidarität auf dem Land vs. Nachbarschaftssolidarität in der Stadt, Nachbarschaftssolidarität in puncto Kinderaufzucht im Allgemeinen wie im Speziellen im Stadt-Land-Kontext, den Vorteil von Kleinläden, wo die Kundin noch Königin bzw. namentlich bekannt sei und entsprechend begrüßt werde usw., bis sich die beiden Mütter sehr überschwenglich voneinander verabschiedeten, und zwar erstaunlicherweise dahingehend, es sei doch schön, dass man sich „mal kennen gelernt“ habe.

Was bedeutet: Sie kannten sich vorher gar nicht bzw. höchstens ein bisschen bzw. hatten ihre wunderbare, auf den gemeinsamen Sympathien für Kindererziehung und Tante-Emma-Läden beruhende Frauenfreundschaft spontan im Bus der legendären Linie 32 entdeckt und geschlossen und insoweit alles richtig gemacht, als vor allem die Ältere, wie sie mürbe mitteilte, „ja in den letzten zwoeinhalb Jahren noch so gar keinen richtigen Anschluss gefunden“ habe, und das war dann wahrscheinlich das erste Mal überhaupt, dass mit der Jahrhundertlinie 32 jemand richtig Anschluss gefunden hat. So geht’s doch schließlich auch.

Oder eben auch ganz anders. In der Straßenbahn der weit weniger formidablen Linie 12 wurde ich dann Zeuge eines gleichfalls schönen Gesprächs, in dem es um u. a. Ex-DDR, Kommunismus, Steuergesetzgebung, Umweltschutz, A. Hitler, B. Vogts, Sommermode, Eiersalat, Raumzeit, Beethoven und immer wieder um eine wohl geschichtlich irgendwie bedeutsame „Totenkopf-SA“ ging. Das Gespräch wurde zwar leise, aber mit äußerster Eindringlichkeit geführt, was umso erstaunlicher war, als einer der Gesprächspartner beharrlich schwieg bzw. gar nicht existierte. Der andere redete einfach mit dem leeren Sitz gegenüber. Es handelte sich gewissermaßen um ein Selbstgespräch. So geht’s natürlich auch.

Oder aber, drittens, so: Als ich die besagte Linie 12 verließ, ging ich in ein Teppich-Zentrum, wo ein alter Teppichverkäufer hinter seinem Schreibtisch saß, seine davor hockende Kundschaft ohne große Mühe ignorierte und ein bald viertelstündiges und lautstarkes Telefongespräch zur großen Politik verzapfte bzgl. Euro-Schwäche, Exportwirtschaft, Inflationsgefahr und Möllemann, dem er, so er ihm mal auf der Straße begegnen sollte, „mal ganz klar die Meinung“ sagen bzw. „geigen“ wolle. Es war schon recht prima. Und wenn sich Gesprächsbereitschaft und politische Übersicht so schön und ja geradezu romanhaft die Hand geben, dann lebt sich’s insgesamt ja auch gleich viel leichter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen