Ohne Mitsprache keine Nachhaltigkeit

Urban 21: Warum Berlin als Referenzstadt für die künftige Stadtentwicklung nicht taugt, und warum es mit „Local Heroes“ einen Gegenkongress gibt

Berlin ist ein Kuhdorf: Hier entgeht man niemandem. Nun wird ausgerechnet dieses Dorf, das sich seit zehn Jahren um den Metropolenanschluss bemüht, Schauplatz einer „Weltstädtekonferenz“.

Man sieht sie förmlich vor sich, die Berliner Politiker, wie sie mit ihren Kollegen aus Singapur, São Paulo, Johannesburg oder Bombay bummeln gehen. Oh, sagt der Berliner, wir haben hier große Probleme. Sollen wir das Stadtschloss bauen, und wenn ja, wozu? Und was schreibt die Bild-Zeitung, wenn wir nach jahrelangen Streitereien das Brandenburger Tor für die Autos wieder schließen? Dann zeigt er seinem Gast noch das Ghetto von Neukölln. Ah ja, sagt da so höflich wie verständnislos der Kollege aus Singapur, São Paulo, Johannesburg oder Bombay und denkt sich wohl, dass die Berliner Politiker ganz nett, aber irgendwie auch ein bisschen komisch sind. Ihm gehen ganz andere Sachen im Kopf herum: Seine Stadt explodiert förmlich.

Berlin präsentiert sich – auch als Gastgeber der Weltstädtekonferenz Urban – gern als Erfolgsmodell der „europäischen Stadt“. Von beispielhaften Problemlösungen war die Stadt in den letzten zehn Jahren allerdings weit entfernt. Im Gegenteil: Berlin war eher auf dem Weg, das Erbe der europäischen Stadt als Ort sozialer Mischung und sozialer Teilhabe leichtfertig zu verspielen: Stadtrandzersiedelung und Privatisierung öffentlichen Raumes sind nur zwei Stichworte.

„Nachhaltigkeit“ ist zum Schlüsselbegriff der Stadtentwicklungsdebatten geworden. Nachhaltigkeit, das ist spätestens seit den Konferenzen von Rio 1992 und Istanbul 1996 klar, ist ohne Partizipation, ohne die Einbeziehung lokaler gesellschaftlicher Akteure nicht zu haben. Doch genau daran mangelt es nicht nur Berlin, sondern auch Urban 21. Der Weltbericht zur Urban 21 wurde nicht, wie ursprünglich in Istanbul beschlossen, von lokalen Akteuren verfasst. Vielmehr beauftragte das Bundesbauministerium die private Consultingfirma „empirica“.

Die Konferenz selbst erweist sich bei genauerem Hinsehen als Expertentreffen, bei dem die weltweit arbeitenden Nichtregierungsorganisationen und andere „Stimmen von unten“ kaum zu Wort kommen werden. Lediglich zwei Stunden wurden einem lange angekündigten „NGO-Forum“ eingeräumt – parallel zu zehn anderen Foren. Unterstrichen wird der im wahrsten Sinne des Wortes exklusive Charakter der Veranstaltung noch durch Eintrittspreise von täglich 235 Mark – Ermäßigungen sind lediglich für Schüler und Studenten vorgesehen.

Es sollte als Alarmsignal verstanden werden, dass infolge dieses Ausschlussprinzips nun Basisinitiativen und Nichtregierungsorganisationen, Mieter- und Obdachlosenvereine parallel zu Urban 21 ihren eigenen Kongress unter dem Titel „Local Heroes – Städte für alle“ veranstalten. Für die lokalen Helden sind die Konzepte der Urban-21-Stadtmanager „fremde Welten“, in ihrer täglichen Praxis sind sie mit ganz anderen Problemen konfrontiert: soziale Spaltung, Ausgrenzung, Ethnisierung.

Es wird nichts nutzen, solche Interessenkonflikte einfach auszublenden. „Good Governance“, wie im Städtebericht zur Urban 21 empfohlen, und simples Stadtmanagement ersetzen keine wirkliche Partizipation unterschiedlicher Akteure. Je unübersichtlicher die großen Städte, desto mehr wird man auf die Erfahrungen und Lösungsvorschläge „lokaler Helden“ an der Basis angewiesen sein. Aber genau in solchem partizipativen Ansatz ist Berlin derzeit alles andere als ein leuchtendes Vorbild.

Dabei waren die Voraussetzungen nicht schlecht: Bewohner beider Stadthälften brachten nach der Vereinigung eine hohe Motivation zur Mitgestaltung mit. Doch in den ersten Jahren der Wachstumseuphorien wurden diese Potenziale allzu oft ignoriert: Einmischung unerwünscht, vor allem, wenn es um zentrale Bereiche ging. In den Debatten um das „Planwerk Innenstadt“ mutierte das Wort „Betroffene“ gar zur abfälligen Beschimpfung.

Inzwischen jedoch ertönt immer öfter der Ruf nach gesellschaftlichen Akteuren, nach der Eigenverantwortung der Bürger – nämlich immer dann, wenn die Politik ein weiteres Aktionsfeld dem Markt überlässt: Mit den Folgen soll der Bürger nun „kreativ“ fertig werden. Die Deregulierung hat aber trotzdem keine Dezentralisierung im Sinne der Stärkung der Kommunen zur Folge: Während das Land immer mehr „lästige“ soziale Aufgaben an die Kommunen, also die Bezirke delegiert, ist dies keineswegs mit mehr Gestaltungssspielraum oder Mitspracherechten verbunden, sondern lediglich mit immer weniger finanziellen Mitteln.

„Partizipation“ bleibt eine hohle Floskel, wenn am Ende doch die politische Macht diktieren will, wer mitspielen darf und wer nicht. „Nachhaltigkeit“ wird auch in Berlin nur zu erreichen sein, wenn die Stadt nicht separiert gedacht wird: Mit dem Schlachtruf „Urbanität gleich Dichte“ die Zentrumslagen mit Eigentumswohnungen zu bebauen und andererseits den städtischen „Problemzonen“ eine Handvoll Quartiersmanager vor die Nase zu setzen, ist nicht nachhaltig, sondern kurzsichtig.

Das werden die Bürgermeister von Singapur oder São Paulo in Berlin wohl nicht zu Ohren bekommen. Vielleicht wollen sie es aber auch gar nicht hören, weil Partizipation auch in ihren eigenen Städten immer noch ein Fremdwort ist. ULRIKE STEGLICH