Actrice ohne Angst vorm Überleben

■ Snobistische Nörgler werden von einer Chloä Sevigny-Reihe im Metropolis belehrt
Von David Kleingers

Vor fünf Jahren war die Welt noch in Ordnung, jedenfalls für zum Snobismus neigende Programmkino-Besucher. Denn 1995 debütierte Chloä Sevigny in Kids, und während Larry Clarks urbane Dystopie die Kontroverse über Realismus und Exploitation im zeitgenössischen Film als werbewirksame Plattform nutzte, wurde die Protagonistin ein Arthouse-Liebling. Als solcher erlebte sie dann auch die schizophrene Zuneigung der elitären Geheimtipper, die ständig über die mangelnden Engagements ihrer Helden klagen, gleichzeitig aber nichts so sehr fürchten wie deren Vereinahmung durch einen diffusen Mainstream.

Dieser Logik zufolge verlief die Karriere von Chloä Sevigny nach Plan, spielte sie doch in den richtigen Filmen mit, ohne dabei in den Dunstkreis allzu großer Popularität oder gar finanziellen Erfolgs zu geraten. Aber letztes Jahr kam mit der großen Öffentlichkeit für Boys Don't Cry die Erkenntnis, dass Sevigny tatsächlich an der Schwelle zum markttauglichen Ruhm steht, Oscarnominierung und H&M inklusive. Bevor jetzt bei den Hipstern das große Wehklagen einsetzt, weil ihr Star nicht mehr nur in The Face sondern auch in der Hörzu zu sehen ist, sollten lieber alle im Metropolis Ursachenforschung betreiben. Drei der insgesamt sieben Filme stehen dabei unter besonderen Vorzeichen, denn die biografische Nähe Chloä Sevignys zu Autor und Regisseur Harmony Korine hat viele Kritiker von Kids (Drehbuch: Korine), Gummo (1997) und Julien Donkey-Boy (1999) zur Konstruktion einer eingängigen Künstler-Muse-Beziehung verleitet. In Artikeln wird das berufliche wie private Paar gerne als verspätete No Wave-Antwort auf Gena Rowlands und John Cassavetes angesehen. Und bei Korine – der in Interviews oft den existentialistischen Schrat mit Hang zu Nazi-Metal und deutschen Autorenfilmern gibt – muss Sevigny stets soziale Apokalypsen durchleiden. Doch selbst in den hoffnungsloses-ten Momenten bewahrt sie ihren Figuren eine trotzige Autonomie, die der Opfer- und Objektwerdung widersteht: keine Angst vorm Überleben, auch wenn es keine Rettung gibt.

Mit dieser Eigenschaft sind alle von Sevigny gespielten Rollen ausgestattet, ob nun der Teenager in der Vorstadthölle von Trees Lounge (1996), das intrigante Entführungsopfer im Neo-Noir Palmetto (1998) oder die stoische Lektorin in der 80er-Dekonstruktion Last Days of Disco (1998). Sie nimmt die jeweiligen Attribute der Figur, versiegelt diese hinter einer unwiderstehlichen Maske aus somnambuler Gelassenheit und lässt oft nur für Sekunden das darunter Verborgene erahnen. Dafür genügen ihr meist wenige Gesten und ein Blick, der mehr verdunkelt denn erhellt. Und was bei anderen wie Koketterie wirkt, ist hier lebenswichtiger Selbstschutz gegenüber denen, die hinter diese Augen gelangen wollen.

Das will auch Brandon Teena (Hilary Swank) in Boys Don't Cry von Kimberley Peirce. Im wohl wichtigsten Film des letzten Jahres konnte Sevigny ihre spielerischen Mittel so verdichten, dass ein Übersehen dieser singulären Leistung – zum Glück – schlicht unmöglich war.

Vielleicht hilft die Retrospektive verstehen, wie aus dem gehypten New Yorker it-girl eine lange unterschätzte Schauspielerin wurde. Zweifellos macht die Reihe aber deutlich, dass Chloä Sevigny viel mehr ist als ein subkulturell angeschickter Gegenentwurf zu Liv Tyler. Zwar verdankt sie ihrer Präsenz in Musikvideos (wobei Sonic Youth hoffentlich immer noch eine Differnz zu Aerosmith herstellen können), diversen Lifestyle-Bibeln und sonst irgendwie credibility-haltigen Kontexten eine Teil ihrer Prominenz. Doch so selbstbewusst wie sie diesen zweifelhaften Hipness-Status instrumentalisiert und bisweilen unterminiert, so autark ist sie in ihrer filmischen Arbeit.

Anstatt also über den vermeintlich drohenden Sell-Out ihrer gehüteten Ikone zu unken, sollten sich die Snobs lieber über den verlorenen Oscar ärgern. Oder mal über die ökonmischen Realitäten im (echten) amerikanischen Independent-Kino nachdenken. Sie können es aber auch lassen. Chloä Sevigny wird es überleben.

Julien Donkey-Boy: 6.7. 21.15 Uhr; Kids: 12.7., 22 Uhr, 13.7., 19.45 Uhr, 15.7., 21.15 Uhr + 18.7., 17 Uhr; Trees Lounge: 23.7., 19.45 Uhr, 24.7., 21.15 Uhr, 25.7., 21.15 Uhr + 26.7., 17 Uhr; Metropolis, Fortstzung im August