Der Spitzenkandidat geht

■ Helmut Zachau, Abgeordneter der Grünen, legt sein Mandat nieder / Warum er und die Fraktion sich auseinander lebten, ist schwer zu sagen

Der Brief an den Bürgerschaftspräsidenten ist abgegeben: Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Helmut Zachau erklärt den Verzicht auf sein Mandat. Die heutige Bürgerschaftssitzung – es wird die letzte für den 52-jährigen Berufsschullehrer sein. Nach den Sommerferien wechselt Zauchau wieder in seinen alten Job als Abteilungsleiter an der Berufsschule für Gesundheit in Walle.

Helmut Zachau geht im Frust. Wohl auch im Zorn. Jedenfalls, wie er selber sagt: „verbittert“. Mit seiner Fraktion, so scheint es jetzt, ist Zachau nie warm genug geworden, um sich langfristig unverzichtbar zu machen. Dabei attestieren ihm alle, einen guten Job als bildungspolitischer Sprecher gemacht zu haben: Dass den Grünen vor der letzten Wahl laut Umfrage besonders in diesem Bereich Problemlösungen zugetraut werden, ist vor allem sein Verdienst. Auch als Vorsitzender des Haushaltsausschusses werden ihm keine Patzer nachgesagt.

In Zachaus Augen ist das Teil des Problems: Als „Gruppe von hochqualifizierten Individualisten“ bezeichnet er seine neun Fraktionskollegen und meint damit wohl auch ein zu ausgeprägtes Konkurrenzdenken. In der Fraktion werde zu viel Energie darauf verwendet, interne Machtkonstellationen zu erhalten, lautet der Vorwurf. Dabei gehe der Blick auf „das Produkt“, nämlich die politischen Inhalte, zu oft verloren. Die Grünen trauten sich nicht, die große Koalition „massiv anzugreifen“ – auch, weil für den einen oder die andere immer noch gelte, als „regierungstauglich“ dastehen zu wollen. Das ist hart. Großreinemachen mit der aufgestauten Unzufriedenheit?

Es gibt in Zachaus Umfeld einige Menschen, die bezeichnen ihn als „Karrierist“ oder immerhin als „karriere-orientiert“. Der Ehrgeiz, mit dem Zachau auftrete, sei nicht unbedingt diplomatisch. Auch deshalb habe es in Fraktionssitzungen immer mal wieder gekracht, besonders innerhalb des letzten Jahres. Falls die Grünen 1999 eine Koalition mit der SPD hätten eingehen können, so wird ihm nachgesagt, habe er den Posten des Bildungssenators fest im Blick gehabt. Den Ehrgeiz leugnet Zachau nicht. Das mit dem Senator dementiert er.

Wann Zachau und seine Fraktion sich auseinander zu leben begannen, ist schwer zu sagen. Vielleicht haben sie sich nie ganz aneinander gewöhnt. Zwölf Jahre war der gewerkschaftsorientierte Zachau in der SPD, erst vor wenigen Jahren trat er den Grünen bei. Eine Geschichte wie einige Altvordere der Fraktion – Mitgliedschaft im KBW oder der KPD – hat er nicht aufzuweisen. Die politische Sozialisation fand im Sozialistischen Hochschulbund (SHB) statt, später war er Mitbegründer der „Betrieblich-Alternativen Liste“. Die wollte dem Bremer Grünen-Gründer Olaf Dinné und seiner „Grünen Liste“ Konkurrenz machen.

Dann der kometenhafte Aufstieg bei den Grünen. 1995, bei der Kandidaten-Aufstellung für die Bürgerschaftswahl, überholte der No-Name überraschend den ältergedienten Hermann Kuhn. Eine bestellte Frage und eine gut vorbereitete Antwort hätten ihn in der Gunst der Parteimitglieder nach vorne katapultiert, lautet noch heute der Vorwurf. Zachau zog in die Bürgerschaft ein. Dass das nicht allen gefallen habe, daran erinnern sich gleich mehrere Grüne, die nicht gern beim Namen genannt werden wollen.

1999 wiederholte sich das Manöver. Diesmal überholte Zachau neben Kuhn auch den Altstar Dieter Mützelburg (1983 erstmals in der Bürgerschaft) und landete hinter Helga Trüpel (1987 erstmals dabei) auf dem zweiten Platz. Damit war Zachau zweiter Spitzenkandidat. Doch im Hintergrund schwebte immer auch die Figur von Ex-Senator Ralf Fücks, der als möglicher Senator für den Fall einer rot-grünen Koalition gehandelt wurde. Vom „heimlichen Spitzenkandidaten“ war die Rede. Zachau habe sich eine eigene Unterstützer-Clique nicht aufgebaut, sagen einige – und kann so schwer als Altvorderer oder Newcomer eingeschätzt werden. Die Parteibasis jedenfalls wollte 1999 Erneuerung: Trüpel hatte ein Drittel Gegenstimmen bekommen, zwei weitgehend Unbekannte – Karin Mathes und Anja Stahmann – hatte erstaunlich gute Listenplätze bekommen.

Der letzte Akt war dann der Streit um die Fraktionsspitze, nachdem die Grünen erneut auf die Oppositionsbänke verwiesen worden waren: Die traditionelle Dreierführung sollte abgeschafft werden, doch die Mehrheit der Fraktion wollte Karoline Linnert. Statt den ebenfalls willigen Zachau zu küren, wartete die Fraktion, bis Linnert den Schritt Monate später doch wagte. In dieser Zeit soll die Stimmung endgültig in den Keller gegangen sein.

Zachaus Projekte wurden intern klein geredet oder einfach dem Totlaufen überlassen – so sehen das auch Grüne, die nicht der Fraktion angehören, aber nahe am Epizentrum arbeiten. Zachau soll emotional und überempfindlich reagiert haben. Weil er hinter der Sachauseinandersetzung andere Konflikte vermutete. Und dass bei Grüns Konflikte und Hierarchie-Gehacke oft über Stellvertreter-Auseinandersetzungen ausgetragen werden – das empfindet nicht nur Zachau so. Doch wo ist das anders?

Für einen jüngeren Grünen muss Zachau jetzt auch deshalb gehen, weil er für einen gewissen Veränderungswillen steht. „Die Grünen bekennen sich dazu, dass Erneuerung stattfinden soll. Aber erneuert werden will natürlich niemand.“ Jetzt streitet sich die Fraktion über die frei gewordenen Posten, die Zachau bisher ausfüllte.

Christoph Dowe