Fremd im eigenen Land

Die Verhältnisse haben sich geändert: „Merhaba und Tschüss“ unter der Regie von Yüksel Yolcu im Tiyatrom

Es waren die alten Haudegen der Schaubühne, die in den Siebzigerjahren eine türkische Schauspielertruppe ans Hallesche Ufer holten, weil sie Theater für eine Berliner Bevölkerungsgruppe von damals 100.000 Menschen ermöglichen wollten. 1986 wurden die Gäste selbst Hausherren: Die Truppe emanzipierte sich und zog in den achteckigen Kuppelbau in der Alten Jakobstraßen. Seitdem gibt es das Tiyatrom, ein türkisches Theater mit fester Adresse, regelmäßigem Spielbetrieb und Schauspielern, die immer wieder zum Haus zurückkehren.

Das Tiyatrom ist gleichzeitig ein offenes Atelier und ein Selbstversuch, bikulturelle Realität auszuhalten und zu vermitteln. Den mittlerweile 200.000 Berliner Türken will Theaterleiter Yekta Arman eine kulturelle Heimstatt geben. Weil er aber auch Deutsche ins Tiyatrom locken will und viele Türken der zweiten und dritten Generation mittlerweile besser Deutsch als Türkisch sprechen, ist ein gut Teil der Hausproduktionen heute zweisprachig.

„Merhaba und Tschüss“ (Regie: Yüksel Yolcu), die letzte Neuproduktion kurz vor der Sommerpause, ist vornehmlich für ein deutschsprachiges Publikum gemacht. Grundlage war Athol Fugards Stück „Hello and Goodbye“. Der leere Kokon erstarrter Familienverhältnisse und Traditionen, die der südafrikanische Autor 1965 beschrieb, umfängt jedoch nicht die Menschen in den Armenvierteln von Port Elizabeth, sondern auch Türken in Berlin.

Kreuzberg, Skalitzer Straße 11. Eine spartanisch eingerichtete Wohnung. Flecken von abgehängten Bildern auf der Blümchentapete. Frisch aus dem Import-Export eine illuminierte Ansicht von Mekka. Im kärglichen Raum sitzt Mahmut und liest und lebt Comics – nur als Batman und Robin wird er lebendig. Er hat sein Leben weggeworfen, weil er seinen kranken Vater pflegen musste. Weil er sich an den Vater und seine Invalidenrente klammerte, um sich selbst nicht verändern zu müssen. Selbst eine Lehre bei Siemens ließ Mahmut teilnahmslos durch die Finger gleiten.

Celâl Bozat verkörpert eindrucksvoll den Schmerz des jungen Mannes, der mühsam die Einsicht niederringt, sein Leben vergeudet zu haben. Gegenstück zum regredierenden Sohn ist seine temperamentvolle Schwester Filiz (Dilruba Saatci), die nach zwölf Jahren Abwesenheit nach Berlin zurückkommt. Will sie nur die 50.000 Mark Entschädigung, die der Vater nach dem Unfall erhalten haben soll? Oder zieht es sie nach dem Überlebenskampf in der Fremde in die vertraute Welt zurück, zu Menschen, die einst Freunde waren? Fugard hatte zwei Menschen mit ihren Erfahrungen und Hoffnungen im Blick; er zeigt individuelles Leben. Ebenso Regisseur Yüksel Yolcu. Er lässt die Figuren agieren, ohne sie in ein Schema zu pressen. Er lässt sich auch nicht dazu hinreißen, die politische Sprengkraft herauszuheben, die mit dem Bruch traditioneller Verhaltensweisen einhergeht.

Das kann man bemängeln, andererseits bietet diese Inszenierung genug Ansatzpunkte für eine weiterführende Arbeit. Die Theater- und Spielpädagogin Simin Turgay nutzt „Merhaba und Tschüss“, um mit Jugendlichen über Familienstrukturen und Ablöseprozesse von der Familie zu diskutieren. In den Mädchengruppen war dann insbesondere der Tausch tradierter Geschlechterrollen ein wichtiges Thema.

TOM MUSTROPH

Nächste Vorstellung: 8. Juli, 20 Uhr im Tiyatrom, Alte Jakobstr. 12, Kreuzberg