100 Paragraphen für die Liebe

Rot-Grün bringt die Gleichstellung von schwulen und lesbischen Partnerschaften auf den Weg. Selbst die Margarineverordnung soll geändert werden

von JAN FEDDERSEN

Das Papier hat insgesamt 187 Seiten. Es trägt unter anderem die Unterschriften der Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Peter Struck und Kerstin Müller. Der Titel des Konvoluts ist nur zäh lesbar: „Entwurf eines Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG)“. Tatsächlich geht es in dem Gesetzesvorschlag, volkstümlich gesprochen, um die Homo-Ehe, um die „Möglichkeit“ für schwule und lesbische Paare, „ihrer Partnerschaft einen rechtlichen Rahmen zu geben“.

Gestern ist der Entwurf den fünf Bundestagsfraktionen zugeleitet worden; morgen geht er im Bundestag in die erste Lesung. Bis Ende dieses Jahres, so hofft SPD-Fraktionschef Struck, sollte es zu schaffen sein, ihn gesetzlich zu verabschieden. Zuvor müsste der Bundestag mit der rot-grünen Mehrheit das Projekt debattieren, wird der Rechtsausschuss Expertenanhörungen organisieren, werden Peter Struck und Kerstin Müller namens der Regierungskoaition das Gespräch mit beiden Kirchen, mit Familienverbänden und den Gewerkschaften suchen – und es muss sich der Bundesrat mit dem Thema befassen.

Was also bis zum Jahresbeginn 2001 zügig diskutiert und durch die Gesetzesmühlen gebracht werden soll, sei, so Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Grünen und seit sechs Jahren hierzulande einer der Protagonisten einer Entdiskriminierung homosexueller Lebensverhältnisse, nichts als die „Angleichung an europäische Rechtsstandards“. In Wirklichkeit ist das Gesetz zu Eingetragenenen Lebenspartnerschaften so umfassend, dass es einem Bruch mit der Rechtstradition gleichkommt, die nur heterosexuelle Lebensverhältnisse für schützenswert hält, aber keine schwulen und lesbischen.

Mehr als 100 Paragraphen werden von diesem Reformvorhaben berührt. Selbst gesetzliche Bestimmungen zur Ausbildung von DiätassistentInnen oder zur Margarineverordnung sollen geändert werden. Überall dort, wo es „Ehegatten“ heißt, soll die entsprechende Bestimmung durch „Lebenspartner“ ergänzt werden. Aber das sind nur Ornamente und Zeichen deutscher Gründlichkeit. Denn im Kern werden homosexuelle Männer und Frauen und ihre PartnerInnen mit Rechten und Pflichten ausgestattet, die denen der heterosexuellen Ehe bis auf wenige Ausnahmen gleichkommen. Im Fall einer Scheidung wäre ein gerichtliches Verfahren nötig. Beide PartnerInnen können sich auf einen Namen einigen, müssen es aber nicht. Eine Eingetragene Lebenspartnerschaft begründet Fürsorge und Unterhaltspflichten, die – wie bei der heterosexuellen Scheidung – über die Trennung fortwirken. Im Erbrecht sollen homosexuelle Paare ebenfalls weitgehend gleichgestellt werden. Beseitigt wäre damit der Nachteil, dass die gemeinsam erarbeitete Habe homosexueller Paare nach dem Tod des einen Partners in Gänze an die Blutsverwandtschaft des Verstorbenen verloren geht.

In der Kranken- und Pflegeversicherung sollen Lebenspartner und dessen Kinder kostenlos mitversichert werden können. Im Beamtendienstrecht sollen für homosexuelle Partner die gleichen Rechte wie die für heterosexuelle gelten. Ein kleines Sorgerecht würde verankert werden. Es soll helfen, dass ein Partner oder eine Partnerin „in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes“ vom anderen Partner mit entscheiden kann. Ein Zeugnisverweigerungsrecht wäre im Reformwerk mit enthalten, ebenso wie die Chance, dass ein ausländischer Partner aus einem Nicht-EU-Land nach Deutschland kommen kann.

Ausgenommen sind vom Gesetzesvorschlag nur das Adoptionsrecht, weswegen das neue Rechtsinstitut auch nicht Ehe heißt. Zwei Männer oder zwei Frauen können kein Kind gemeinsam adoptieren. Auch das Ehegattensplitting soll keine Geltung haben.

Offen ist nur, wie der Bundesrat, in dem die rot-grüne Regierungskoalition keine Mehrheit hat, entscheiden wird. Sicher ist, dass die Union gegen das Gesetz Widerstand leisten wird. Maria Böhmer, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, erklärte gestern, dass mit ihrer Fraktion eine „Ehe light“ nicht zu haben sei. Die Bundesregierung sei „drauf und dran“, den Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie schützt, auszuhebeln. Gleich lautend äußerten sich CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz und Bayerns Innenminister Günter Beckstein.

Kritik kam gestern auch von Innenminister Otto Schily. In einem Interview mit dem Tagesspiegel gab er kund, dass er weder mit der Gleichstellung von homosexuellen Partnern im Beamtenrecht noch mit dem Zuzug ausländischer Homo-Partner einverstanden sei. SPD-Fraktionschef Peter Struck kommentierte gestern diese Volte nur mit den Worten: „Ich nehme das zur Kenntnis.“ In den Reihen der Union wird vor der ersten Lesung des Gesetzes schon daran gedacht, die Reform passieren, aber schließlich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kassieren zu lassen. Volker Beck von den Grünen dazu nur: „Wir berühren den Artikel 6 des Grundgesetzes überhaupt nicht.“

Das Kalkül der Union, dass die Eingetragene Lebenspartnerschaft im Bundesrat scheitert, müsste nicht aufgehen. Die sozialliberale Koalition in Rheinland-Pfalz dürfte nicht opponieren, schließlich spricht die FDP sich seit vielen Jahren für die Legalisierung homosexueller Partnerschaften aus. Und Berlin, großkoalitionär regiert, stimmte noch vor zwei Jahren im Bundesrat einer ähnlich lautenden Initiative zu. Blieben Sachsen, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und Hessen: Sie allein bekommen keine Mehrheit gegen das Gesetz zustande.

Bundeskanzler Gerhard Schröder soll gesagt haben, dass das Gesetz bis Ende des Jahres verabschiedet sein muss. Im Frühjahr 2001 finden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz statt. Die Homo-Frage dürfe, so wird kolportiert, kein Gegenstand der dortigen Wahlkämpfe werden.