: Alles paletti, weil alles urbanetti
Auf der Weltstädtekonferenz „Urban 21“ in Berlin wurden Nachhaltigkeit und Demokratisierung wieder von der Tagesordnung gestrichen. Unterdessen suchten lokale Akteure und Aktivisten auf der Gegenveranstaltung „Städte für alle – Local Heroes 21“ nach neuen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung
von UWE RADA
Ali Gürtuna ist ein Mann, der ungerne polarisiert. Vielleicht haben ihn die Bürgermeister der 25 größten Städte der Welt deshalb ausgesucht, vor den 2.000 Teilnehmern des Weltstädtekongresses „Urban 21“ in Berlin vom eigens einberufenen „Bürgermeistergipfel“ zu berichten.
Der Bürgermeister von Istanbul enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. „Manche behaupten, die Probleme der Metropolen bestünden in ihren Konflikten, im Gegensatz von Wirtschaft und Sozialem, Zukunft oder Vergangenheit, Hardware oder Software. Doch in Wirklichkeit sind das keine Gegensätze, sondern alles gehört zusammen.“ Das sei das übereinstimmende Ergebnis der Diskussion unter seinen Kollegen aus Singapur, São Paulo oder Johannesburg, sagte das Stadtoberhaupt der türkischen Metropole, in der ein Großteil der 12 Millionen Einwohner in Gecekondus, den Slums, wohnt.
Während Ali Gürtuna im Konferenzsaal des Internationalen Congress Centrums die Zukunftschancen eines harmonischen Stadtmanagements pries, protestierte draußen eine Handvoll Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen, Obdachloseninitiativen und Habitat-Foren. Sie, deren Stimme auf der Konferenz Urban 21 vom 4. bis zum 6. Juli nicht gewünscht war, haben stattdessen zu einer eigenen Tagung eingeladen. „Local Heroes 21 – Städte für alle“ sollte vom 3. bis zum 5. Juli ein Forum für Betroffene und ein Vorbereitungstreffen für einen „Weltkongress der Stadtbewohner“ sein, der im Oktober in Mexiko City stattfinden wird. Zwei Konferenzen, zwei Botschaften und ein Polizeieinsatz. Kaum hatten die Protestierer am Montagmittag ihre Transparente vor dem Congress Centrum entrollt, wurden sie von der Polizei eingekesselt und abgedrängt. Selten schließen Symbolik und Wirklichkeit solche Allianzen. Offenbar haben sich die Städte ebenso wenig überlebt wie ihre Gegensätze.
Zu einem Weltkongress – zumal in Berlin – gehört natürlich ein Weltbericht und zu einem Weltbericht eine Weltkommission von Experten mit Weltruf. Ulrich Pfeiffer, Geschäftsführer des Forschungsinstituts „Empirica“, eines SPD-nahen Think-Tanks, ist so ein Experte. 1990 hatte er dem damals noch geteilten Berlin ein Bevölkerungswachstum von bis zu 500.000 Einwohnern vorhergesagt. Heute stehen jene 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche leer, die Developer und Fondsgesellschaften in Erwartung der Berliner Urbanitenschwemme aus dem Boden gestampft haben.
Diese Notiz aus der urbanen Provinz wäre nur eine Fußnote, stünde sie nicht für das Entwicklungsmodell, das Pfeiffers Vision von der Zukunft der Städte zugrunde liegt: Wachstum, Wachstum, Wachstum, und wenn auch das nichts nützt: Wachstum!
Das fanden offenbar die anderen 14 Experten der Weltkommission, meistenteils aus Europa, so überzeugend, dass der „World Report on the Urban Future 21“ die Botschaften von Rio 1992 und der Weltsiedlungskonferenz Habitat II in Istanbul 1996 einfach umgedreht hat. Von der nachhaltigen Verantwortung des Nordens ist keine Rede mehr. Umso mehr dagegen von der ökologischen Zeitbombe in Kalkutta oder Lagos. So einfach kann man heute wieder Ursache und Wirkung verkehren.
Auch sonst fasziniert der Bericht durch seine Umkehrschlüsse. Globalisierung und Kasino-Kapitalismus sind nicht Problem, sondern Lösung – für die Global Cities ebenso wie für den dramatischen Anstieg der Slumbevölkerung in Schwarzafrika oder dem indischen Subkontinent. Und eine „Good Governance“ genannte Politik eines globalen Quartiersmanagements ist die Politik, die zum Ziel führt. Nicht nur in den „reifen Städten“ des Nordens, sondern auch in jenen mit „dynamischem Wachstum“ in Asien und Lateinamerika oder gar den Megacities mit „informellem Hyperwachstum“ in Afrika, Indien oder dem Nahen Osten. So hat jede Metropole eine kleine Aufstiegschance. Kalkutta könnte ein bisschen werden wie Singapur, Singapur ein bisschen wie Tokio. Alles urbanetti, alles paletti. Und wer da noch von den 2,8 Milliarden Menschen spricht, die täglich nur eine oder zwei Dollar zur Verfügung haben, glaubt entweder nicht an die Zukunft oder ist selbst schuld.
Spätestens seit der Weltsiedlungskonferenz Habitat II ist unter Planern, Urbanisten und Politikern die Vokabel der „Glokalization“ zum urbanen Gemeingut und Placebo geworden. Die Globalisierung, so lautet der Subtext dieser Legende, führe zu einer Stärkung der lokalen Ebene und deren Akteuren. Auch im Weltbericht von Ulrich Pfeiffer wird diese Legende weitergesponnen, dabei aber wohlweislich ausgeblendet, dass zwar die Stimmen der Betroffenen lauter, deren Mitbestimmungsrechte aber meist abgebaut werden. Dezentralisation bedeutet eben nicht zwangsläufig mehr Demokratie. Es sei denn, man betrachtet die illustre Gemeinde um Ulrich Pfeiffer, den Architekten Richard Rogers, den Briten Sir Peter Hall oder den Vizechef der Weltbank, als eine Art Weltbürgerinitiative gegen Armut und Ausgrenzung.
Eine solche sollte sich eigentlich in der Berliner Ufa-Fabrik konstituieren. Weitab vom Konferenzrummel im Charlottenburger Congress Center sollten die „Global Player“ der Urban-21-Konferenz daran erinnert werden, dass vor vier Jahren in Istanbul beschlossen worden war, der Weltbericht zur Zukunft der Städte sei nicht von einem Expertengremium zu verfassen. Schließlich, so lautet die Überzeugung der Aktivisten aus Brasilien, Ecuador, Italien, Polen und vielen anderen Ländern, sei eine nachhaltige Entwicklung der Städte ohne die Beteiligung der Betroffenen und die Bekämpfung der Armut nicht einmal das Konferenzpapier wert, auf das sie gedruckt wird. Zugleich stellten die 150 Basisaktivisten auch das Recht der Urban-Konferenz in Frage, im „Namen der Weltbevölkerung“ zu sprechen. War Habitat mit über 20.000 Teilnehmern noch ein offizieller Kongress der Vereinten Nationen, handelt es sich bei Urban lediglich um eine informelle Veranstaltung der Bundesregierung.
Doch die „lokalen Helden“, das zeigte das dreitägige Treffen vor allem anderen, leiden zwar nicht unter Wortgewalt, wohl aber unter politischem Einfluss. Da half es auch nicht, dass mit Kirtee Shah, dem Präsidenten der Habitat International Coalition und dem indischen Habitat-Forum, einer der wenigen NGO-Vertreter auf der Urban-21-Konferenz deren Teilnehmer an die urbane Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts erinnerte. „Alle reden von Good Governance, doch die Praxis sieht anders aus“, schrieb Shah vor allem den Verfassern des Weltberichts ins Stammbuch und stellte das Wachstumsmodell des Berichts mit einem Einstein-Zitat in Frage. Man könne die Probleme, die man geschaffen habe, nicht lösen, wenn man das Denken beibehalte, das diese Probleme hervorgebracht habe.
Der tosende Applaus, den Kirtee Shah für dieses Plädoyer von den etwa 2.000 Konferenzteilnehmern bekam sowie die demonstrative Zustimmung, die Klaus Töpfer dem Inder entgegenbrachte, verwies auch auf einen Paradigmenwechsel der deutschen Perspektive auf die weltweite Urbanisierung. Trieb mit dem ehemaligen CDU-Bauminister Töpfer und heutigem Umweltchef der UN mit Sitz in Nairobi noch ein Verfechter der Gleichung „Keine Nachhaltigkeit ohne soziale Gerechtigkeit“ den Habitat-Prozess voran, dominierte auf der ersten internationalen Konferenz der rot-grünen Bundesregierung seit dem Regierungsumzug der Rückzug aus der globalen Verantwortung. Kein Wunder, dass Töpfers an die Bürgermeister der Metropolen gerichteter Appell, wenigstens die Slums nicht mehr mit Baggern abzuräumen, ähnlich ambivalent anmutete wie der Versuch der „Local Heroes“, die Perspektive von unten nicht nur als Kampfansage, sondern auch als Appell an die 20 Kilometer entfernt tagenden Urban-Teilnehmer zu formulieren.
Die hätten jedenfalls Nachhilfeunterricht in Sachen städtischer Konflikte dringend nötig gehabt. Hinzu kommt, dass auf der Versammlung der lokalen Helden „Good Governance“ und „Best Practice“ einmal nicht als Top Down städtischer Standortpolitik auf die lokale Ebene dekliniert wurde, sondern als Chance für wirkliche Beteiligung, wie sie etwa aus dem brasilianischen Pôrto Alegre berichtet wurden. Mit der Verfassungsänderung in Brasilien haben die Kommunen seit einigen Jahren nicht nur einen Zuwachs an Bedeutung erfahren. Manche Städte nutzen diese Dezentralisierung auch im Sinne einer tatsächlichen Demokratisierung. So entscheiden etwa die Bewohner der verschiedenen Bezirke in Pôrto Alegre selbst darüber, welche Projekte durch den städtischen Haushalt finanziert werden.
Diese Schokoladenseite der „Glokalisierung“ ist freilich die Ausnahme, die eine andere Regel wie etwa in Buenos Aires bestätigt. Dort setzt eine politisch und finanziell im Sinne des Weltberichts autonome Stadtregierung ganz auf den Bau so genannter „privater Stadtteile“, umzäunte Communities der Reichen, die der städtischen Realität der Armut den Rücken kehren. Und in Berlin, um noch ein Beispiel aus der angeblichen Modellstadt der Nachhaltigkeit in Europa zu berichten, soll mit dem Verkauf der größten städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW exakt jene Summe in das leere Stadtsäckel fließen, das die große Koalition in der Vergangenheit für die Förderung der Eigenheimprogramme ausgegeben hat.
Solche Konflikte sind es, die die urbane Topografie des 21. Jahrhunderts schon heute bestimmen. Doch bei den Bürgermeistern der größten Städte der Welt, so lässt es der Bericht des Istanbuler Stadtoberhaupts Ali Gürtuna vermuten, sollten solche Botschaften von vornherein nicht zu hören sein. Schlechte Nachrichten könnten ja die Wachstumschancen schmälern.
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