die stimme der kritik
: Betr.: Versäumtes nachholen

Hodschatoleslam val Moslemin Sayed kommt!

Jungen Leuten fehlt, und gerade in dieser Zeitung tritt das immer wieder zu Tage, die Erfahrung und der Stallgeruch, den man sich nur erwerben hätte können, wenn man „früher“ „dabei“ gewesen wäre. Für alle, die „es“ damals verpasst haben, bietet sich anlässlich des Besuchs des Präsidenten der Islamischen Republik Iran, Hodschatoleslam val Moslemin Sayed Mohammad Chatami, die einmalige Chance, Versäumtes nachzuholen: Diese spezielle Stimmung des Protests, wie es sie nur gibt, wenn ein iranisches Staatsoberhaupt kommt.

Die Rollen haben sich ein wenig verschoben, aber das tut der Stimmung in Berlin ab nächsten Montag bestimmt keinen Abbruch. Statt Jubelperser – wie seinerzeit 1967 – werden diesmal aufgebrachte Menschen vom „Nationalen Widerstandsrat“ das Straßenbild auflockern, anders als ihre Vorgänger werden diese aber wohl voraussichtlich gegen die Staatsmacht operieren. Obwohl sie sich ja auf die Unterstützung zahlreicher Bundestagsabgeordneter berufen können, die einen Aufruf des Widerstandsrats eben so im Vorbeigehen abgezeichnet haben. Ob man einem Abgeordneten auch einen Blankoscheck zur Unterschrift andrehen könnte? Gewiss!

Ob sich Hodschatoleslam val Moslemin Sayed Mohammad Chatami mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen gemeinsam eine Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ ansehen wird, ist dagegen noch recht ungewiss und wäre nebenbei bemerkt wohl eine ziemliche Geschmacklosigkeit. Vorsichtshalber soll die Deutsche Oper jedenfalls trotzdem weiträumig abgeriegelt werden. Man weiß ja nie, was passiert, und am Ende wird wieder ein Polizist freigesprochen, weil er doch eigentlich gar nichts dafür konnte.

Eingedenk des damaligen Gangs der Dinge hat sich auch der Axel-Springer-Verlag dazu entschlossen, präventive Maßnahmen zu ergreifen. War doch der Mord an Benno Ohnesorg die Initialzündung der Außerparlamentarischen Opposition. Und die, wissen wir doch, forderte später auch die Enteignung Springers, inklusive Schlacht in der Kochstraße. So weit darf es nicht mehr kommen, dachten sich die Springer-Leute. Und reißen ihre Druckerei lieber gleich selbst ab. Junge Leute, und gerade die in dieser Zeitung, sehen das sehr gern.

STEFAN KUZMANY