Spaziergänge auf Weltniveau

Die „Schaustelle“ ist passé, Berlin präsentiert sich in diesem Jahr als „offene Stadt“ mit 27 Expo-Projekten. Zehn Themen-Routen führen auf abseitigen Wegen durch die halb fertige Stadt. In Stralau gibt man sich wasserverbunden

von LARS KLAASSEN

Noch sind die Kranwälder nicht aus der Stadt verschwunden, aber sie lichten sich bereits. Höchste Zeit also, sich vom Label der „Schaustelle Berlin“ zu verabschieden. Bis zum 3. September präsentiert sich Berlin daher als „offene Stadt“, mit Austellungen, Kulturveranstaltungen und Tagen der offenen Tür. Im Zentrum stehen dabei die 27 Expo-Projekte, mit denen sich die Hauptstadt als – so Kultursenator Christoph Stölzl (parteilos) – „Extrapavillon“ der Hannoveraner Weltausstellung präsentiert.

Das Potpourri der Vorzeigeobjekte liest sich wie die bunte Mischung aus einer Überraschungstüte: Von „Altreifenrecycling“ über die „Infobox“ bis hin zum „Ökobrot 2000“ ist dort einiges vertreten, was im Zusammenhang mit „offener Stadt“ und Expo zunächst überrascht.

Wer nun sehen und anfassen möchte, was denn aus der „Schaustelle Berlin“ geworden ist, kann die halb fertige Stadt auf zehn Routen erkunden: Alte Kranteile, die als Skulpuren und Halterungen für erklärende Schautafeln dienen, weisen den Weg. Jeweils rund vier Stunden dauern die Spaziergänge, die zu Themen wie die „Die Neue Mitte“ oder „Zwischen Kiez und Schickimicki“ abseits der üblichen touristischen Trampelpfade führen. Expo-Projekte, wie das Energie sparende GSW-Hochhaus oder das Stadtentwicklungsgebiet Rummelsburger Bucht liegen dabei auf dem Weg.

Fußlahme können sich ebendort auf der Stralauer Halbinsel nicht nur das größte der Berliner Projekte, sondern gleich sechs weitere Weltausstellungsbeiträge zu Gemüte führen. Die Ausstellung im alten Werkstattgebäude veranschaulicht nachhaltige Stadtentwicklung nicht nur am Beispiel Rummelsburger Bucht, sondern greift auch andere Projekte auf, die sich in Berlin im Rahmen der Expo mit dem Thema „Wasser in der Stadt“ auseinander setzen. Thematisiert werden unter anderem die Bereiche Leben am Fluss, Wohnen in der Landschaft, mitten in der Stadt, Mobilität, Wassertechnik und Wasserforschung.

Das innere des ehemaligen Werkstattgebäudes der Stralauer Glashütte wurde – ebenso wie seine Fassaden – im unsanierten Zustand belassen. Sowohl die Räumlichkeiten als auch der Blick aus den großen Fenstern zu beiden Seiten des Areals stehen im überdeutlichen Kontrast zu dem, was hier imaginiert wird. Der Rundgang beginnt zunächst klassisch: „Es war einmal . . .“, wird den Besuchern im ersten Saal in einsäuselndem Ambiente zugeraunt. Die blau beklebten Fensterscheiben erzeugen ein aquarienartiges Licht, zu dem sich das plätschern einer benachbarten Wasserinstallation gesellt. Mit alten Karten und Schinkel-Bildern wird hier die Geschichte der historischen Wasserstadt Berlin erzählt.

Nüchterner geht es im zweiten Saal weiter, der vom ersten durch ein DDR-Grenzgitter aus der Kanalisation abgetrennt ist. Hier wird, wieder in hellem Tageslicht, vom Wandel der Ufer bis in die heutigen Tage berichtet. Die Schautafeln mit den Bildern der neuen Uferbebaungen stehen in im Boden eingelassenen Wasser. Am Grund dieser nur wenige Zentimeter tiefen Pfützen haben Besucher im Sand ihre Spuren hinterlassen – Graffiti zwischen Guppis.

Hat man all die Architekturpläne für die künftige Bebauung der Halbinsel und die Informationen über die Renaturierung der Ufer und des Rummelsburger Sees verdaut, wartet im Obergeschoss noch eine beeindruckende Wasserinstallation auf den Besucher – eben jene, die schon zu Beginn so verheißungsvoll plätscherte. „Der Weg des Wassers“ nennt sich diese Konstruktion, die mit 1.000 Quadratmetern alleine ein Drittel der gesamten Austellungsfläche einnimmt. Was als Simulation des Berliner Wasserkreislaufs – vom Wasserhahn in die Kanalisation zum Klärwerk und zurück – angepriesen wird, entpuppt sich als begehbarer Brunnen. Beim Lustwandeln zwischen den Kaskaden geraten die „hard facts“ in den Begleittexten zunehmend zum schmückenden Beiwerk – endlich mal was anderes als Kräne.

Wegweisende LiteraturZu den zehn Routen unter dem Titel „Berlin: offene Stadt“ siehe Seite 30. Infos zu den Berliner EXPO-Projekten stehen unter dem Stichwort „weltweite Projekte“ auf www.expo2000.de