Grüner Ausflug ins Blaue

Mit einer „Metropolentour“ machte sich der grüne Landesvorstand auf die Suche nach einem neuen Profil als Großstadtpartei. Doch bei der Erkundungstour an vier Orte, die stellvertretend für die Metropole stehen, gab es mehr Fragen als Antworten

von DOROTHEE WINDEN

Seit neuestem trägt der grüne Abgeordnete Hartwig Berger wieder einen Che-Guevara-Sticker an seinem ausgeleierten Wollpullover. Das schwarzsilberne Konterfei des Guerillaführers ist eine Trotzreaktion des 68ers. „Ich bin in den letzten Wochen so oft gefragt worden, für was die Grünen stehen“, sagt er leicht genervt. „Das ist meine Antwort darauf.“

Hartwig Berger ist einer der Abgeordneten, die am Donnerstag zur „Metropolentour“ des grünen Landesvorstandes stoßen. Unter dem Stichwort „Metropolendebatte“ diskutiert die Berliner Führung der Grünen seit Januar über eine Weiterentwicklung des grünen Programms. Die Leitfragen lauten: Passt die Realität noch zum grünen Parteiprogramm? Wie muss grüne Politik auf die Umbrüche reagieren, die das neue Berlin mit sich bringt? Und wie lässt sich der Brückenschlag zu den Akteuren des neuen Berlin schlagen? Im Mittelpunkt stehen Demokratie und Mitbestimmung, die Integration von Migranten, sowie die soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Das grüne Image soll von alten Klischees befreit werden: „Die Partei der Frösche und Insekten“, wie ein CDU-Abgeordneter kürzlich in einer Parlamentsdebatte spottete, wollen die Grünen nicht sein. 20 Jahre nach ihrer Gründung wollen sie neue Wählermilieus erschließen. Zudem haben sich auch die alten grünen Milieus längst verändert. „Neue Mitglieder und neue WählerInnen entsprechen nicht mehr dem Bild des Alt-Ur-Grünen. Der/Die Urgrüne ist auch nicht mehr, was er war,“ heißt es in einem Vorstandspapier.

Doch die Partei hat das Ansinnen der Führung, eine Metropolendebatte zu führen, bislang nur widerstrebend angenommen. Auf der grünen Website finden sich unter der eigens eingerichteten Rubrik nur wenige Einträge. Die linksdominierte Kreuzberger Bezirksgruppe wittert bereits eine „Programmrevision“.

Mit dem Versuch einer mediengerechten Inszenierung der „Metropolentour“ will der Landesvorstand dem Thema nun Schubkraft verleihen. Doch nur drei Journalistinnen sind der Einladung gefolgt. Es ist eine Erkundungstour zu vier Orten, die stellvertretend für die Metropole stehen: eine Schöneberger Grundschule mit hohem Ausländeranteil, an der ein Deutschkurs für Mütter eingerichtet wurde, der Mädchen-Sportclub Pia-Olymp in Hohenschönhausen, der Wissenschaftsstandort Adlershof und die neue Mitte mit den Hackeschen Höfen.

Doch die grüne Erkundungstour entpuppt sich als Fahrt ins Blaue. Nicht nur, weil die gecharterten Großraumtaxen in Adlershof das gesuchte Info-Center nicht auf Anhieb finden. Auch in der Diskussion mit den Vertretern des Wissenschafts- und Technologieparks kommen die grünen Positionen kaum über die althergebrachten Bedenken hinaus. Die Grünen halten es für problematisch, dass die Naturwissenschaften der Humboldt-Universität hierher ziehen und damit von den Geisteswissenschaften in der Stadtmitte abgekoppelt werden. Auch die überdimensionierten Pläne, mehrere tausend Wohnungen in dem Technologiepark zu bauen, stoßen auf Skepsis. Der Abgeordnete Jochen Esser plädiert für einen „geordneten Rückzug“ bei der Wohnbebauung. Nur Till Heyer-Stuffer vom Hochschulbereich lässt anklingen, dass der Technologiepark auch Chancen bietet. Doch für eine vertiefende Debatte ist die Stippvisite zu kurz.

Als die Gruppe schließlich vor dem einsetzenden Regen in den letzten noch nicht renovierten Hauseingang am Hackeschen Markt flüchtet, bleibt es auch hier bei einer Feststellung: die Künstler, die den Stadtteil nach der Wende mit ihren Galerien zum Anziehungspunkt gemacht hat, werden jetzt Opfer eines Verdrängungsprozesses. Die Kommerzialisierung des hippen Viertels schreitet rasant voran. Alteingesessene ziehen weg, für manchen Galeristen werden die Mieten unerschwinglich. Ob und wie diese Prozesse aufzuhalten ist, darüber fällt kein Wort.

„Wir haben mehr Fragen als Antworten“, räumen die Parteivorsitzenden Andreas Schulze und Regina Michalik ein. Sieben Seiten umfasst der Fragenkatalog des Vorstands zu den einzelnen Themen. Nach den Antworten soll in den nächsten Monaten bei einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen mit Fachleuten und Initiativen gesucht werden.