: Streuselkuchen und Shiraz
Wein machen, das ist im südaustralischen Barossa Valley europäische Tradition und eine irgendwie romantische Industrie. Und um richtigen Wein zu machen, braucht es in Australien viel kühles Bier. Ein Besuch bei den Lindners und Bittners in Down under
von SABINE HERRE
Es ist heiß im Barossa Valley. Eine kaum zu ertragende Schwüle hat sich über das Tal gelegt. Doch es ist eine glasklare Hitze, sie lässt die Farben nicht verblassen, sondern zeichnet scharfe Konturen. Das gelbe Grün der Zypressen, deren Spitzen den Himmel streifen, das schmutzige Grün der Eukalyptusbäume und natürlich das Grün der Weinstöcke. Nur die Hügel, die das Barossa Valley zu einem Valley machen, sind braun. So wie die Schafe, die auf ihnen grasen. Auf diesen Hügeln wächst kein Wein. Es gibt keine Weinberge im Barossa.
Es gibt aber auch nicht jene endlosen Ebenen voller Reben, die man oft mit dem Weinbau in Australien verbindet. Gerade einmal 30 mal 10 Kilometer ist es groß, dieses Tal. Die vineyards zählen oft nur wenige Ar. Alles ist zergliedert und parzelliert. Viele Menschen, viel mehr als in anderen Teilen dieses Kontinents, müssen hier ihr Auskommen finden.
Im Hotelpub von Tanunda, der mit 3.500 Einwohnern größten Gemeinde im Barossa, treffen sich all diejenigen, die den Wein machen, mit denen, die von den Weinmachern leben. In der bedeutendsten Weinanbauregion Australiens gibt es keine andere Erwerbsquelle, keine andere Industrie, und so gibt es auch kein anderes Thema.
Von Tisch zu Tisch wandern die Geschichten. Sie handeln von dem Kaninchen, das zwischen die Traubenernte geriet, und beim Entladen den Horizontalrebler ins Stottern brachte. Von der Heimtücke des gährenden Rotweins. Und natürlich von all den Zucker- und Säurewerten, die über die Qualität des nächsten Jahrgangs entscheiden.
Es ist eine sehr männlich bestimmte Gesellschaft, aber auch eine soziale Gemeinschaft. Als Ende der 70er-Jahre das Barossa Valley unter chronischer Überproduktion litt und Dutzende Weinbauern vor der Pleite standen, war es der Pastorensohn Peter Lehmann, der ihnen ihre Trauben abkaufte und zu billigem Massenwein verarbeiten ließ. Das hat Spuren hinterlassen. Der Weinmacher hilft dem Weinbauern, denn er ist auf ihn angewiesen. Und umgekehrt.
Der Wein, von dem sie alle leben, wird im Pub nicht getrunken. Stattdessen gibt es Bier, frisch gezapft, leicht sprudelnd und so kalt, das man das Glas kaum in der Hand halten kann. Auf einem T-Shirt steht: „Es braucht eine Menge Bier, um guten Wein zu machen.“
Besonders in diesem Jahr. Braun, wie Rosinen, hängen viele Trauben an den Weinstöcken, andere dagegen haben ihren Reifeprozess gar nicht erst begonnen. Das Winterende mit zu wenig Wasser, der Frühling mit zu viel Hitze und einer mangelhaften Befruchtung. Schließlich Regen kurz vor Erntebeginn. Die Zuckerwerte gingen in den Keller, und auf den Gesichtern der Weinmacher zeigten sich erste Spuren von Besorgnis. Nur 13 statt 14,5 Prozent Alkohol. Ein schlechter Jahrgang ist etwas Ungewöhnliches für die erfolgsverwöhnten Winzer Australiens.
Auch auf „Langmeil“ analysiert man mit Spannung, die ab und zu in Anspannung umschlägt, die Werte der Trauben. Langmeil ist ein Familienbetrieb, die Väter Manager, die Söhne Weinmacher, Marketingexperten, und die Frauen: Sie halten den Laden zusammen.
Langmeils Besitzer, die Lindners und die Bitters, sind so etwas wie Barossa-Urgestein. Seit vier Generationen leben sie im Tal. Sicher, für Europäer scheint dies nicht allzu viel zu sein. Doch auf einem Kontinent, in dem kaum ein Dorf älter als 150 ist, wird Tradition mit anderen Maßstäben gemessen.
Die ersten Siedler im Barossa Valley waren Deutsche. Und so begegen einem deutsche Geschichte und Geschichten auf dem Friedhof, beim Bäcker, beim Metzger, selbst im Supermarkt. Der Autohändler heißt Kästle, das Cafe „Heidelberg“ und das Weingut eben Langmeil, die lange Meile. An ihr entstand einst Tanunda, ein Straßendorf. Auf der jedes Jahr Anfang März stattfindenden „Tanunda-Show“ gibt es bis heute einen speziellen Wettbewerb für Streuselkuchen. Nur deutsch spricht keiner mehr. Das hat ihnen die australische Regierung im Zweiten Weltkrieg ausgetrieben. Doch Rote Grütze heißt im Barossa weiter Rote Grütze, es gibt einen deutschen Liederkranz und vier lutherische Kirchen.
Die ersten Siedler im Tal waren Flüchtlinge. Vertrieben von der Religionspolitik des preußischen Königs Friedrich Wil- helm III., der die reformierte und die lutherische Kirche zwangsvereinigen wollte, kamen sie aus Schlesien, geführt von ihrem Pastor, mit Hilfe eines reichen englischen Kaufmanns. Der bezahlte den Siedlern Überfahrt und Land und strebte nach dem Ertrag ihrer Arbeit. Und hart arbeiten konnten sie, diese Deutschen, und sie waren flexibel.
1846 pflanzte der 32-jährige Schmied Christian Auricht in Langmeil die ersten Weinstöcke an. Shiraz. 151 Jahre später beschlossen die Lindners den Wein, den sie von den Trauben dieser Stöcke keltern, „Freedom“, Freiheit, zu nennen. Zur Erinnerung an „diejenigen, die in dieses Land wegen Verfolgung, politischer Unruhe und Krieg kamen.“
Verantwortlich für die Qualität der „Freiheit“ ist Paul Lindner, mit 33 Jahren einer der jüngsten Weinmacher im Barossa. „Wein herzustellen ist eigentlich ganz einfach, es sind immer die gleichen Prozesse. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich das gar nicht so schlecht kann, so wurde ich Weinmacher“, sagt er.
In der Erntezeit hat die Woche für Paul sieben Tage und der Tag oft 24 Stunden. Die ersten Trauben, gepflückt von gigantischen Erntemaschinen in der Kühle der Nacht, kommen oft schon gegen Mitternacht herein. Die handgelesenen, besseren, die die besondere Aufmerksamkeit erfordern, dann jedoch erst am Nachmittag.
Fragt man die Langmeil-Macher, was für sie „Wein machen“ bedeutet, fallen die Antworten nahezu identisch aus. Es ist kein Handwerk, sondern eine „Industrie“ für sie, die wild ist, fast romantisch. Alle haben sie anders angefangen, als Banker, Mechaniker oder gar Politiker. Doch alle sind sie zurückgekommen - zum Wein im Barossa Valley.
Was es bedeutet, Wein zu „machen“, kann man vielleicht nur in der Neuen Welt richtig begreifen. Hier werden nicht, wie am Rhein oder in Burgund, die Trauben einer einzigen Sorte und einer einzigen Lage zu einem kaum zu kopierenden Wein. Hier kommt die Ernte eines noch so kleinen Weinguts von unzähligen verschiedenen vineyards, oft sogar aus einer 1.000 Kilometer entfernten Region Australiens. Das blending, das Verschneiden, das eine Jahr für Jahr gleich bleibende Qualität sichern soll, wird so zur wichtigsten Aufgabe. Denn hier kommt es auf die Geschmacksnerven an: ein bisschen mehr Eukalyptus, etwas mehr Pfeffer zum Ausgleich der Schokolade. Wegen der hohen Zuckerwerte wurde bereits zuvor Säure zugegeben. Das ist erlaubt.
Doch es gibt auch eine Tendenz, Weine auf traditionelle Art herzustellen. Weniger Maschinen, weniger Chemie. Die Freedom-Stöcke werden mit der Hand geschnitten, ihre Trauben mit der Hand gepflückt, auf die im Barossa allgegenwärtige Bewässerung verzichtet. 1,5 bis 2 Tonnen Trauben erhält man so per Ar, bei einem „normalen“ vineyard sind es 5 bis 10.
Einen Schritt weiter geht Paul Lindner in seinem privaten Wellblechhütten-Weingut. Die Presse ist aus Holz, geben die Trauben nicht genug Saft, wird mit den Füßen nachgeholfen, Filtration findet nicht statt. So entsteht ein Wein, trunken von Farbe, Frucht und Alkohol. Schwarzlila, fast wie Sirup fließt er ins Glas.
Das Barossa Valley liegt rund 70 Kilometer nördlich der südaustralischen Hauptstadt Adelaide. Zahlreiche Veranstalter bieten Tagestouren mit Weinproben ins Barossa an. Das zentrale Barossa-Informationszentrum in Tanunda informiert über den Weinbau und vermittelt Übernachtungsmöglichkeiten. The Barossa Wine & Visitor Centre, 66–68 Murray Street, 5352 Tanunda, South Australia, Tel.: (00 61-8) 85 63 06 00, Internet: www.barossa-region.org. Das Weingut Langmeil liegt in der Langmeil Road, PO Box 551, 5352 Tanunda, Tel.: (00 61-8) 85 63 25 95; www.langmeilwinery.com.au
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