Lecker strömendes Wasser

■ Auch Otto Normalfisch bekommt jetzt einen Tunnel: Die „Aufstiegshilfe“ am kleinen Weserwehr / Beleuchtung soll Rotauge & Co die Angst vor der Dunkelheit nehmen

Bremen, Stadt der Tunnel und Unterführungen! In Hemelingen wird tiefgebaut, in der Innenstadt diskutiert man über den Concordia-Tunnel, und jetzt bekommen auch die Weserfische eine Unterführung. Dort, wo zwischen Teerhof und Neustadt eine unüberwindbare Wehranlage die kleine Weser aufstaut, wird zur Zeit eine unterirdische Aufstiegshilfe gebaut.

Sie soll den behäbigeren Arten, die nicht so gern im Hauptstrom schwimmen, Zugang zur mittleren Weser verschaffen. Die Umleitung führt durch den Werdersee, vorbei am Nadelöhr „Großes Weserwehr“, wo bereits eine Fischtreppe existiert. Mobilität auch für die Proleten der Fischwelt: Genau dies ist das Schöne an dem 950.000-Mark-Projekt. Es soll nicht nur Medienstars der Unterwasserszene – wie dem Langstreckenschwimmer Lachs oder der Meerforelle – das Wandern erleichtern, sondern auch Otto Normalfisch. Denn Allerweltsarten wie Rotauge, Brasse oder Aland packt zeitweise ebenfalls die Lust, ihren Aufenthaltsort zu wechseln.

Wie gut also, dass es tief unter dem Maschinenhaus an der Neustädter Seite des Wehrs noch einen ungenutzten Abwasserkanal gibt. Der Schacht, der nach zwölf Metern in ein Betonrohr mündet, wird seit Mai so umgebaut, dass fisch hier unbedingt durchschwimmen möchte: Eine Steinschüttung sorgt für angenehme „Rauhigkeitswerte“, es gibt treppenartig angeordnete Dammbalken aus Holz, hinter denen es sich schön pausieren lässt, und auch der Zugang direkt unterhalb der Fußgängerbrücke soll komfortabel gestaltet werden. Lecker strömendes Weserwasser soll die Fische locken, die drei Höhenmeter zu überwinden. Oben führt ein offener Kanal in die kleine Weser. Bis die Herbststürme beginnen, will das „Hansestadt Bremische Hafenamt“ mit den Bauarbeiten fertig sein.

„Alle Flussfische haben grundsätzlich ein Bedürfnis, zu wandern“, erklärt Michael Schirmer, Gewässerökologe an der Bremer Universität. Und in der Weser verkehren mehr als 25 verschiedene Arten – darunter Aale, die in ihrer Jugend flussaufwärts streben, oder die Meer-und Flussneunaugen mit ihrem merkwürdigen Rundum-Gebiss.

Der Fischverkehr in der Weser ist also durchaus rege, wenn es auch anspruchsvolle Arten weiterhin schwer haben. Ökologe Schirmer zufolge reicht die Kundschaft der Fischtreppe am großen Wehr vom winzigen Stichling bis hin zum mit viel Aufwand geförderten Lachs. Seit 1912 ist den Fischen in Bremen der direkte Weg in Richtung Oberlauf verbaut.

Dies hat Auswirkungen auch auf das Liebesleben von Rotauge, Brasse & Co. „Kompensationswanderung“ nennt Schirmer das, was die kleinen Verwandten der Karpfen im Frühjahr umtreibt: Dann ist Laichzeit, und wie nach Programm begeben sie sich stromauf, um ein späteres Abdriften ihrer Brut auszugleichen. Die zurückgelegten Distanzen liegen zwischen einigen hundert Metern und mehreren Kilometern. Sogar die eher gemütlich wirkenden Karpfen selbst sollen ab und zu auf Reise gehen.

Der Fischtunnel in der Bremer City wird dem Rest der Familie künftig ermöglichen, auch in den ruhigeren Gewässern – wie dem Werdersee – Hochzeit zu halten. Denn die als Bundeswasserstraße ausgebaute Unterweser mit ihren vier Metern Tidenhub in Bremen ist keineswegs ideal fürs Laichgeschäft.

Das Projekt ist eine von drei Ausgleichsmaßnahmen des Senators für Wirtschaft und Häfen für die „Verfüllung“ des Überseehafenbeckens. Das war zwar alles andere als ein naturnahes Biotop, bot der heimischen Fischwelt aber immerhin ein veritables Rückzugsgebiet. Im vergangenen Jahr war bereits der Werdersee über einen Fischpass an die Weser bei Habenhausen angeschlossen worden. Wenn der Tunnel in der Bremer City funktioniert, ist die Umleitung komplett.

Die Nutzer der neuen Aufstiegshilfe sollen es nun besonders gut haben. Denn der Fisch will – wie der Mensch – Licht, und das zur rechten Zeit. Also montierte man elektrische Lampen in der Tiefe, die jedoch nur tagsüber brennen werden. Der Grund: Auch Fische schwimmen nur ungern in düstere Löcher. Das sei „genetisch fixiert“, so Fischfachmann Schirmer. Fehlt das Licht am Ende des Tunnels, drohen Panik und Orientierungslosigkeit. Fische sind eben auch nur Menschen.

Milko Haase