Strand-Aerobic der älteren Jahrgänge

Bowle, Bier und Brezeln: Ein Abend auf der Waldbühne mit dem Buena Vista Social Club ist in Sachen Rhythmus nicht immer leicht zu durchschauen. Andere Zeitgenossen im Publikum lamentieren dagegen lieber über abgerissene Mantelknöpfe oder stupsen der Freundin mit dem Handy an die Stirn

von PETRA WELZEL

Fangen wir mit Stadtgeflüster an: Der Buena Vista Social Club ist in der Stadt, und Katja Riemann eilt am Freitagabend mit großen Schritten auf Trainers und in Ballonseidenhose vom S-Bahnhof zur Waldbühne. Ein Schwarzhändler will ihr eine Karte fürs Konzert verkaufen. Sie hält kurz inne, lehnt freundlich ab und sagt dann laut zu sich selbst: „200 Eier! Die spinnen wohl!“

Kommen wir zum Redaktionsgeflüster. Kollege B. sagte mittags verhalten, dass der Auftritt der letzten Altmeister des kubanischen Son kein Event für Berufskonzertkritiker sei. Im Klartext: Dies ist ein Fall für Frauen im Durchschnittsalter des Fanclubs, der an diesem Abend eine Spanne von etwa 7 bis 77 Jahren aufweist. Kurzum: eine Angelegenheit für Durchschnittsfrauen – also rein altersmäßig – wie Katja Riemann oder mich.

Wir sind beide spät dran, als wir die Waldbühne erreichen. Der Club hat pünktlich begonnen und spielt bereits seit einer Viertelstunde. Vor einem Berg aus 20.000 Menschen und 40.000 Armen, die sich regelmäßig in die kühlen Lüfte schwingen. Nicht immer im Rhythmus. Der ja auch gar nicht so simpel ist, wie er sich anhört. Das nur zur Ehrenrettung der 20.000, die für diesen dreieinhalbstündigen Abend mit dem Buena Vista Social Club und den jüngeren Afro Cuban All Stars immerhin rund 70 Mark pro Karte hingelegt haben. Und Erdbeerbowle, Bier und Brezel wollen bei alledem auch noch bezahlt und in den Wogen der Musik, die von der Bühne an den Berg spülen, ausbalanciert werden.

Aber das ist bisher alles nur Warmlaufen. Nachdem auf einer Trompete die Son-Variante von „Somewhere over the rainbow“ ausklingt, betritt der erste Star die Bühne. Als „Lady Omara Portuondo“ wird die einzige weibliche Stimme des Buena Vista Social Club angekündigt, und das Wort „sexy“ fällt. Hinter mir kommt es trotz Beifallsstürmen zu unüberhörbaren Differenzen zwischen einem kahl geschorenen Sachsen mit RayBan-Sonnenbrille und seiner Freundin. Omara Portuondo singt vorne mit ganzer Inbrunst von Liebe, während er seiner Freundin mit dem Handy auf die Stirn tippt. „Eh, spinnst du!“, sagt sie und zettelt einen Streit an. Der Sachse fragt genervt, scheinbar einem Ritual folgend: „Haben wir jetzt wieder diese Diskussion?“

Omara Portuondo singt mittlerweile nicht nur vom „playa“, sondern verrenkt sich auch wie Club-Urlauber beim Aerobic am Strand. Wo ihre Musik zweifelsohne besser aufgehoben ist. Oder in einer verqualmten Bar mit Ventilator an der Decke. Als sich die Lady schließlich auch noch hintenüber an die Hacke greift, sind auch die Fans auf den Sitzen nicht mehr zu halten. Ich würde die Portuondo jetzt gerne im Duett mit Ibrahim Ferrer singen hören, so wie in Wim Wenders’ Film, wie sie ganz eng beieinander vor ihren Mikros stehen, sich anschauen und singen, „Dos Gardenias“. Aber nach 30 Minuten tritt sie ab, und Ibrahim Ferrer kommt allein. Haben die auch Streit?

Der Sachse hat zur Versöhnung Bowle, Bier und Brezeln gekauft und stellt dann laut fest: „So viel Leute haben noch nicht einmal bei Pearl Jam gestanden.“ Ihr fällt hingegen auf, dass an seinem Ledermantel ein Knopf fehlt. Er erwähnt, dass der doch schon seit einem halben Jahr ab wäre, nimmt sie aber trotz ihrer Achtlosigkeit der letzten Monate in den Arm und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.

Ibrahim Ferrer hat sich in der Zwischenzeit mit jahrzehntelang geölten Stimmbändern in die Ohren gesäuselt. Und mit seinen 72 Jahren kreist er seine Hüften ansehnlicher als jedes Boygroup-Mitglied. Ausgerechnet da fragt der Sachse, ob es hier denn nun abgehe oder nicht. Es riecht penetrant nach Havanna-Zigarren und kaum jemand sitzt noch, zumal jetzt noch einmal Ruben Gonzales, der 83-jährige Veteran und Pianist des Clubs auf die Bühne und ans Klavier geführt wird. Die Freundin hat ihren Sachsen offensichtlich verstanden. Wortlos schnappt sie sich ihren Rucksack und geht Richtung Ausgang. „Sag doch mal was, blöde Kuh“, ruft er ihr hinterher und schließt sich ihr dann zufrieden an.

Zum letzten Stück darf Omara dann doch noch mit zu Ibrahim auf die Bühne. Sie singen „Dos Gardenias“. Diesem Waldbühnengeflüster ist nichts hinzuzufügen.