Der Rundum-sorglos-Ort

Autokauf als Weltverbesserungsprojekt im Erlebnispark: Ein Besuch in der Autostadt Wolfsburg. Der Konzern hat eine fast 25 Hektar große Idylle bauen lassen, die internationale Kunst in Themenparks versammelt und fast ohne Autos auskommt

von VOLKER WEIDERMANN

Am besten kommt man mit dem Zug. Freundliche Herren in blauen Uniformen, die ganz offensichtlich nicht in Diensten der Deutschen Bahn stehen, begrüßen dich: „Willkommen in der Autostadt Wolfsburg. Darf ich mich um Ihr Gepäck kümmern?“ Und schnell und leicht, man kann gerade noch seinen Namen sagen, sind die Gepäckstücke versorgt. Vor dir liegen silbern glänzende Häuser, eine weiße Freitreppe, die zum Ufer des Mittellandkanals hinabführt und hinauf zu einem großen, gläsernen Gebäude – dem KonzernForum, Eingangshalle der Autostadt. Eine überdachte Fußgängerbrücke bringt dich auf Rollbändern zur 25 Hektar großen Stadt, die Volkswagen für seine Kunden gebaut hat: Ein Vergnügungspark für Neuwagenabholer, eine moderne Tempelstadt, in der der Volkswagenkonzern sich selber feiert und den Kunden von heute und denen, die es einmal werden sollen, seine Firmenphilosophie präsentiert.

Willkommen also. Hier ist VW. So stellt ein Weltkonzern sich vor: Die riesige, zwanzig Meter hohe, gläserne Empfangshalle wirkt hell und leicht und irgendwie beinahe leer. Die vielleicht hundert Menschen verlieren sich im lichten Raum. VW-Mitarbeiter empfangen freundlich Gäste, nehmen ihnen die mitgebrachten Autoschilder ab, machen den genauen Abholtermin für den bestellten Neuwagen am Ende des Tages aus. Die Stimmen hört man kaum. Von der Decke schwebt leise Musik.

Die Autostadt Wolfsburg ist ein weltweit einmaliges Projekt. Statt die verkauften Neuwagen zu den Kunden zu bringen, sollen die Kunden jetzt zum Neuwagen kommen. Das heißt, das Auto dort abholen, wo es für den Kunden produziert wurde. Wo die Kunden früher bis zu 900 Mark so genannte „Überführungskosten“ zahlten, kostet es sie heute etwa 500 Mark „Bereitstellungskosten“, dafür bekommt man ICE-Fahrkarten vom Heimatort für so viele Familienmitglieder, wie das neue Auto Sitzplätze hat. Und freien Eintritt in den Erlebnispark Autostadt. Bis zu 1.000 Abholer erwartet VW pro Tag. 2.000 weitere Besucher sollen nur wegen des Erlebnisses kommen (und vielleicht später dann wegen eines neuen Wagens). 850 Millionen Mark hat VW das Projekt gekostet. In nur zwei Jahren Bauzeit wurde es fertig gestellt. Seit 1. Juni kommen die Gäste. Bislang sind es 5.000 pro Tag.

Globen für Global Player

Sie alle betreten die Autostadt über die so genannte Piazza in der flugzeughallengroßen Empfangshalle, die „Visitenkarte des Konzerns“. Neben drei bunt leuchtenden Großbauten von Gerhard Merz, in denen sich Kinoräume und ein Kundencenter befinden, erfüllt ein scheinbar frei schwebender Aluminiumgitterglobus den Raum. Auch der Globus ist riesig. Es ist der größte Globus der Welt. Maßstab 1 : 1.000.000 zur Erdenwirklichkeit. Voilà VW, le Global Player. Der Globus ist eine Arbeit des Künstlers Ingo Günther, ist Teil eines Globenprojektes, an dem er seit 1989 arbeitet. Unter dem einen großen Globus sind sechzig kleinere Globen in den Boden der Empfangshalle eingelassen. Sie bilden schematisch Weltprobleme ab: „Saurer Regen – prozentuale Verteilung in der Welt“, „Benzinverbraucher“, „Autobahndichte“, „Löhne Automobilindustrie“, „Regenwaldrestbestände“, „Die CO2-Spirale“ oder „Ölfelder und Katastrophen“. Man darf Volkswagen einigen Mut bescheinigen, den still leuchtenden Vorwurf in seiner Empfangshalle installiert zu haben. „In der Tat war es nicht ganz einfach, das Globenfeld in dieser Form durchzusetzen“, sagt die für das Kunstprogramm zuständige Maria Schneider. Aber dann siegte die Einsicht: „So viel Kritik muss möglich sein.“

Die Frage, wie viel Kritik bei VW genau möglich ist, drängt sich jedoch seit der Entscheidung der VW-Bank, der Kunsthochschule in Braunschweig alle Sponsorengelder zu streichen, auf. Dabei hatte die Kunstschule die Arbeit eines Absolventen ausgestellt, die ein Zitat des Konzernchefs Ferdinand Piëch über die Vergleichbarkeit von Autoverkauf und Kriegsführung mit einbezog. Welche Kunst darf auf Kosten VWs Kritik üben? Wie global und allgemein muss Kritik sein, um von VW bezahlt zu werden? Wie prominent der Künstler? Die Abstrafung von Braunschweig war eine törichte Strafaktion: Erstens wurde das ganze Land noch einmal an das unglückliche Piëch-Wort erinnert, außerdem nahm das Image von VW als Förderer freier Kunst schweren Schaden.

Wohliges Aha-Gefühl

Von solcher Kleingeistigkeit ist die Autostadt weit entfernt. Hier herrscht Großzügigkeit in Raum und Zeit und Geist, und Kunstobjekte wie die installierten Globen geben dem Betrachter das wohlige Gefühl von Aha: „Problem erkannt – Problem dann sicherlich auch bald gebannt.“ Von VW und seinen findigen Ingenieuren. Von der VW-Familie. Der gesamte erste Ausstellungsbereich im linken Flügel des KonzernForums, das AutoLab, funktioniert nach diesem Vertrauen schaffenden Prinzip. Hier werden die vier Grundsäulen der VW-Philosophie erläutert: Sicherheit, Qualität, soziale Kompetenz und – die Umwelt.

Das Problem wird zunächst als Spielfilm präsentiert: Sicherheit beispielsweise, in einem 360-Grad-Kinosaal, mit einem sehr schönen, rührenden Kurzfilm von Dani Levy mit Meret Becker. Die Botschaft: Totale Sicherheit ist nicht zu haben. Dann verlässt man den Kinosaal und betritt den rationalen Ausstellungsbereich. Hier gibt es dann Airbagdemonstrationen und Vibrationsräume, oder man kann sich in eine rotierende Kugel schnallen lassen, um zu erfahren, welche Kräfte bei Unfällen so auf den Körper wirken können.

Nach dem später gezeigten Umweltfilm fährt man den Dreiliter-Lupo und erhält Einblick in die Forschung für das fast emissionsfreie Auto der Zukunft. Und nachdem man den Rainer-Kaufmann-Film „Ausflug“, der nach einer Idee Judith Hermanns entstand, zum Thema „Soziale Kompetenz“ gesehen hat, erwartet die Besucher ein Computerspiel, bei dem man als Vorstandsvorsitzender Geschäftsentscheidungen zu treffen hat: mehr oder weniger Entlassungen, mehr oder weniger Teamarbeit, Neueinstellungen, Fortbildungen und so weiter. Ich wurde, trotz Belehrung durch den Film, schon nach drei bis vier Runden von den Arbeitgebervertretern wegen zu schlechter Gewinnentwicklung entlassen. Erst nachdem ich mich entschloss, radikaler auf Rationalisierung zu setzen, kam ich erfolgreich bis zum Schluss. Die Vorstandskollegen gratulierten. Jedoch nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Arbeitnehmervertreter nicht so zufrieden seien. Das sei schlecht für die Zukunft. „Sie sind unser wichtigstes Kapital.“ Die Belehrung blieb zum Glück folgenlos. Irgendwie scheint das Spiel zum Thema „Soziale Kompetenz“ noch nicht ganz ausgereift zu sein.

Aber das sind kleine Fehler. Insgesamt bleibt nach Durchlaufen des ersten Bereiches der Autostadt dem Besucher die Gewissheit: Die Welt ist nicht gut und sie wird nie wirklich gut werden. Aber besser. Und daran arbeiten wir. Wir von VW. Und jedes Mitglied der VW-Familie, der Škoda-, Audi-, Seat- und VW-Käufer, nimmt an diesem Weltverbesserungsprojekt durch die richtige Kaufentscheidung irgendwie aktiv unterstützend teil.

Als Golf-Fahrer hat man also ein ganz gutes Gefühl, wenn man das KonzernForum in Richtung weiterer Autostadtbezirke verlässt. Der Blick auf die Stadt ist wunderbar: grüne Hügel, sanft geschwungen, weiße Wege von Buchsbäumen gesäumt, ein paar schlendernde Besucher, kleine Bäche, Schilf, Stege, dunkle, massive Holzliegen auf dem Rasen, Birken, Kiefern und vor allem – Ruhe. Eine große Ruhe liegt über dem Ort. Die Autostadt ist eine Stadt ohne Autos. Ohne Hektik. Weiträumig. Harmonisch. Perfekt. Ein Ort zum Ankommen. Ein Ziel. Und nirgends Werbung. Kein Logo. Kein Firmensignet. Das Prinzip ist Unaufdringlichkeit. Understatement.

Zwischen den Hügeln liegt das Zeithaus, ein Museum der Automobilgeschichte und die Firmenpavillons der VW-Familie: Bentley, Škoda, Seat, Lamborghini, Audi, VW, VW-Nutzfahrzeuge und die frisch dazugekaufte LKW-Firma Scania. Die Pavillons sind höchst unterschiedlich, alle von dem VW-Architekturbüro Gunter Henn geplant: Das Bentley-Haus liegt als dunkelgrün schimmernder Granitblock zwischen den Hügeln, das VW-Haus ist eine Kugel, die von einem gläsernen Würfel umschlossen wird, bei Audi sind zwei Aluminiumringe aus dem Firmenlogo zum Pavillon geworden, Seat ist mediterran weiß und geschwungen, von Wasser umgeben, und Lamborghini präsentiert sich als herrischer, schwarzer Klotz, an dessen Außenfassade alle zwanzig Minuten ein orangefarbener „Countach“ erscheint.

Audis für Adorniten

Die Pavillons sind kleine Themenparks zur Markenphilosophie. Das geht bei VW, Seat und Škoda so in die Familienrichtung, bei Bentley ist das stolze Edelpräsentation, bei Audi ein gewisser prolliger Edel-Lifestyle und Lamborghini ist Lärm und Schnelligkeit und Dunkelheit und Rauch. All das wird recht unterhaltsam dargestellt, mit Hilfe von Flug- und Fahrsimulatoren, Golfabschlagplätzen, Raumsegelfliegern und der Wohnungseinrichtung des idealtypischen Audifahrers (im Bücherregal immerhin: Theweleits „Buch der Könige“ und Adornos „Einführung in die Musiksoziologie“).

Aber das Ziel, das Ziel der Autostadt liegt ja woanders. Aus der Ferne sieht man schon die ganze Zeit zwei gläserne Türme leuchten. Das sind die Autotürme. Hier werden die Neuwagen am Abholtag zwischengelagert, aufpoliert und endkontrolliert. Dann kommen sie ins KundenZentrum. Endpunkt der AutoStadt. Auch das ist gläsern, hell und groß. Leise sphärische Musik. Ein Autoradiogeschäft verkauft die CDs „Glücklich I–III“. Auf rot leuchtenden Anzeigetafeln liest man die nächsten Abholer mit Treffpunkt, Uhrzeit und Autokennzeichen. Die Wagen rollen aus einer weiß leuchtenden Boxengasse in ein weites, lichtes Asphaltrund. An der Decke sind Symbol-Banner des Künstlers Matt Mullican aufgehängt. Der Nichtabholer darf bei der Übergabezeremonie nur aus der Ferne zusehen. Eine gläserne Barriere trennt ihn vom letzten Bereich. Man sieht: einen anthrazitfarbenen Golf aus der Weißlichtgasse fahren, zum Treffpunkt C, an dem ein Paar schon wartet. Der Verkäufer steigt aus, schüttelt Hände, erläutert Details, streicht immer wieder über den Lack, zeigt dem erfreuten Paar ihr am Anfang des Tages abgegebenes Gepäck im Kofferraum. Sie steigen ein. Ein Tor öffnet sich. Das Fenster auf der Fahrerseite gleitet hinab. Sie starten. Und wir hören – aus weiter, weiter Ferne schon – die ersten Takte der CD „Glücklich I“.