„Die Schüler werfen mit Butterstullen“

An vielen Brandenburger Schulen gleicht das Unterrichten einem täglichen Hindernislauf zwischen Zeitung lesenden Schulpflichtigen, rechtsextremen Pöbeleien und Handgreiflichkeiten durch Schüler. Drei junge LehrerInnen aus Berlin schildern im Gespräch mit der taz den alarmierenden Alltag

Interview von BARBARA JUNGE
und JULIA NAUMANN

taz: Frau Rosenkranz, Sie haben an einer Gesamtschule in Brandenburg nach nur zwei Wochen als Lehrerin kapituliert – was war denn so unerträglich?

Anja Rosenkranz: Die Gewalt war ständig präsent. Die Jugendlichen haben sehr ordinär geredet, sie haben viel gepöbelt, auch untereinander. Ich wurde angefasst, geschubst. Die Schüler blieben nicht sitzen, unterrichten war selten möglich. Man bräuchte eigentlich eine Sonderausbildung und ein sehr dickes Fell, um mit den Kindern einigermaßen liebevoll und fürsorglich umgehen zu können. Die Kraft habe ich nicht aufgebracht.

Wie sieht Ihr Unterricht aus, Herr Seebacher?

Gregor Seebacher: In einer Klasse von circa 20 SchülerInnen ist ein Viertel mit seinem Handy beschäftigt. Die meisten schicken sich Kurznachrichten mit den neuesten Witzen, die rechts oder ordinär sind. Die anderen unterhalten sich miteinander. Ein paar lesen in Zeitschriften. Einige wenige versuchen, meinen Worten zu folgen.

Vergessen habe ich übrigens noch die, die schlafen. Unterricht im eigentlichen Sinne ist da kaum möglich.

Ist das, was Sie schildern, ein spezielles Problem in Brandenburg oder eine Frage des Schultyps?

Maike Schieler: Ich glaube, es ist in Hauptschulen im Westen ähnlich. Aber ich möchte die Schüler ein bisschen in Schutz nehmen: In jeder Klasse sind welche dabei, mit denen es durchaus Spaß macht, zu unterrichten. Die leiden darunter. Das sind größtenteils Mädchen.

Es gibt aber auch in jeder Klasse diejenigen, die überhaupt nicht zu irgendwas bereit sind. Die also nicht mal ihre Bücher auspacken oder wenn, dann nur, weil ich eine Bücherkontrolle mache. Die halten dann die Bücher hoch und lassen sie sofort wieder in ihren Taschen verschwinden.

Was sind das für Schüler?

Maike Schieler: „Null Bock.“ „Das ist doch egal.“. Das sind Äußerungen, die sie häufig machen. Meist sind es Schüler mit extrem geringem Selbstbewusstsein, die es gewohnt sind, Misserfolge zu haben. Man muss ihnen viele Brücken bauen, damit sie überhaupt bereit sind, sich auf etwas einzulassen. Sie erleben immer wieder, dass ihnen gesagt wird, dass sie eh nichts können.

Nennen Sie das noch Unterricht?

Maike Schieler: Anfangs war überhaupt keine Konversation mit der ganzen Klasse möglich. Es ist nicht so, dass die Schüler sich gegenseitig zuhören. Ich gehe umher und spreche einzelne an. Aber ab und zu kann ich inzwischen ein Unterrichtsgespräch führen.

Und ich muss mit Noten arbeiten, sonst geht gar nichts.

Das heißt, Sie müssen mehr bestrafen, als Sie wollen?

Maike Schieler: Ich komme mir manchmal total beschissen vor. Ich muss mich einfach autoritär verhalten, und so wollte ich nie sein.

Gregor Seebacher: Dass der Stoff das Interesse weckt – das ist praktisch nicht vorhanden. Notendruck funktioniert aber auch nicht immer. Eher schon Rauswerfen und eine Fehlstunde eintragen. Ich muss mir aber genau überlegen, ob ich das überhaupt schaffe, den Schüler rauszuwerfen. Bei den Schwächeren nutze ich das aus, da kann ich sagen: Raus jetzt! Manchmal bin ich wirklich beruhigt, wenn die Jugendlichen nur Zeitung lesen, weil sie dann wenigstens ihren Mund halten.

Maike Schieler: Bei einigen nutzt es auch, die Eltern anzurufen oder eine Verwarnung zu geben. Es gibt aber viele, denen das vollkommen egal zu sein scheint. Ein Kollege sagte letztens, das Ziel müsse es sein, dass die Schüler überhaupt noch zur Schule kommen. Er meinte, ich wäre zu streng. Ich würde, wenn ich schlechte Noten gebe, den Schülern damit ja noch deutlicher zeigen, dass sie Loser sind.

Auf der anderen Seite weiß ich nicht, was ich machen soll mit Schülern, die mir Butterstullen gegen den Kopf schmeißen, die sich demonstrativ mit dem Rücken zu mir hinsetzen in die Klasse und Karten spielen oder während der Stunde rumrennen? Soll ich denen noch eine 4 statt einer 5 geben, damit sie sich aufgehoben fühlen?

Ist es auf dem Gymnasium anders?

Anja Rosenkranz: Ich habe das Referendariat an einem gutbürgerlichen Gymnasium im Westteil Berlins gemacht. Da sind die Kinder morgens zur Begrüßung noch aufgestanden. Auf dem Gymnasium, an dem ich jetzt unterrichte, ist es vergleichbar. Die Schüler sind interessiert. Es macht unheimlich viel aus, wenn es ein bisschen freundlich an der Schule zugeht – dieses Gefühl habe ich dort. Dass sich alle ganz wohl fühlen, sich alle verantwortlich für ihre Schule fühlen.

Wie sieht denn das Bildungsniveau an den Schulen aus, an denen Sie unterrichten?

Maike Schieler: Da es in Brandenburg keine Hauptschulen gibt, sind auf der Gesamtschule überwiegend Jugendliche mit Hauptschulempfehlung. In meinen Klassen sind aber auch immer Kinder, die auch in anderen Schulen vorankommen würden, und für die tut es mir Leid. Die lernen weniger als woanders.

Gregor Seebacher: In der Rechtschreibung haben sie sehr große Defizite. Und auch in der Allgemeinbildung. Es gibt zu wenig Geschichtsunterricht. Sie wissen überhaupt nicht, wie unser System aufgebaut ist, gegen das sie alle so sind.

Ich bekomme eine Antistimmung gegenüber dem System mit: der Scheißstaat, die Scheißpolitiker, sie fühlen sich so, als ob sie alle viel zu kurz gekommen seien. Dazu herrscht eine sehr große Ostalgie. Die Mehrheit bei uns ist mit Sichherheit rechts eingestellt. Das ist schockierend.

Beherrschen rechte Jugendliche die Schulen?

Anja Rosenkranz: Ich habe gehört, dass meine Schule unter Rechten als „Zeckenschule“ gilt, also als linke Schule. An meiner Schule dominieren die Rechten tatsächlich nicht. Das macht mir Hoffnung.

Gregor Seebacher: Es ist natürlich auch die Frage, wie tief dieses Rechtsgerichtetsein sitzt oder ob es einfach nur in ist. Das ist relativ schwer zu bewerten. Bei anderen ist es aber auch sehr eindeutig: richtiger Haarschnitt, Bomberjacke, einschlägige Aufnäher . . .

Reden Sie im Unterricht darüber?

Anja Rosenkranz: Es ist ein Thema für Jugendliche an meiner Schule, weil sie selbst davon bedroht sind. Zum Beispiel, wenn sie an einem See fahren und einen falschen Rucksack tragen. Sie wollen darüber reden. Im Unterricht habe ich es zum Beispiel thematisiert, wenn es Anschläge gab.

Maike Schieler: Ich habe mich an das Thema noch nicht rangetraut. Ich würde gerne darüber diskutieren, aber ich weiß nicht genau, wie. Mit Einzelnen geht es, aber im Klassengespräch ist das nicht möglich. Die Schüler sind sehr überzeugt von ihrer Meinung. Ich leide richtig darunter. Denn es ist das Thema, man muss darüber sprechen.

Ich traue es mich aber nicht. Nicht wegen einer möglichen Bedrohung, aber ich glaube, dass ich diese Kommunikationssituation mit einer ganzen Klasse nicht schaffe. Wie soll ich denn reagieren, wenn sie sich alle lautstark einig sind, dass Ausländer rausmüssen? Mit Argumenten kommt man da nur schwer weiter.

Anja Rosenkranz: Eigentlich kann man nur als gesamte Schule wirksam darauf reagieren. Es ist sehr wichtig, wie die Schulleitung damit umgeht.

Gregor Seebacher: Man braucht die Deckung. Es gab bei uns einen Fall, wo ein Junge eine Reichskriegsflagge auf den Ärmel genäht hatte. Ich habe es dem Klassenlehrer gesagt. der hat eine Eingabe beim Direktor gemacht. Passiert ist seit zwei Monaten nichts.

Maike Schieler: Bei uns gibt es aber Kolleginnen, die das sehr gut machen und die das auch hinkriegen.

So, wie Sie Ihre Situation geschildert haben, macht die Arbeit überhaupt Sinn?

Anja Rosenkranz: Ich würde an keiner Gesamtschule in Brandenburg mehr unterrichten. Deswegen nehme ich jetzt eine sehr lange Anfahrt in Kauf.

Maike Schieler: Es macht dann einen Sinn, wenn es eine Kontinuität gibt. Was keinen Sinn macht, sind kurze Verträge mit LehrerInnen, die kommen und wieder gehen. Denn die Schüler erleben ständig Diskontinuitäten. Zu einigen habe ich mittlerweile ein gutes Verhältnis aufgebaut. Und dafür lohnt es sich.

Anja Rosenkranz: Klassenleiter haben manchmal eine Chance. Sie haben auch einen besseren Kontakt zu den Eltern. Wenn man wie ich zehn Klassen hat, ist das schwierig.

Muss das Schulsystem und die Organisation verändert werden?

Gregor Seebacher: Ja, denn so, wie ich es im Moment erlebe, macht es keinen Sinn. Zum Beispiel müssten die Klassen unbedingt kleiner werden.

Maike Schieler: An meiner Schule wird jetzt ein Teamkonzept für die 7. Klassen eingeführt. Die haben dann nicht mehr in jedem Fach eine andere Lehrerin, die dann nach dem nächsten Schuljahr wechselt. Die Teams haben einen viel engeren Kontakt zu den Kindern und Eltern.

Anja Rosenkranz: Eigentlich müsste man jeden Tag die Eltern anrufen, ihr Kind hat heute gesagt . . .

Maike Schieler: . . . „Fick dich ins Knie.“

Hat das, was Sie derzeit machen, noch was mit Ihren ursprünglichen Vorstellungen des Lehrers zu tun?

Anja Rosenkranz: Ich habe in erster Linie die Fächer studiert. Es war von vornherein klar, dass es nicht der absolute Traumjob ist und ich damit die Welt verbessern kann. Vielleicht eher die Vorstellung, dass ich mit Jugendlichen arbeiten und das auch Spaß machen kann. Lernen kann ja auch Spaß machen.

Gregor Seebacher: Der Spaß im Umgang mit Jugendlichen stand bei mir im Vordergrund. Der Versuch Interesse zu wecken. Das ist auch immer noch möglich. Es gibt ja biblisch gesprochen immer noch den einen oder anderen Gerechten in der Klasse, so dass ich nicht denke, dass alle so sind.

Maike Schieler: Das ist es, was uns bei der Stange hält.

Gregor Seebacher: Dennoch sage ich mir, dass ich da aufhören muss, weil ich sonst den Spaß verliere. Und auch die Fähigkeit zum Unterrichten, weil ich nur noch dastehe und monologisiere. Und damit die Schüler mal ruhig sind, ihnen ein Kreuzworträtsel gebe, natürlich ein themenbezogenes. Aber das kann es nicht sein.

Liegt es an Ihnen, dass Sie sich nicht auf andere Situationen einstellen können?

Gregor Seebacher: Ich glaube, wir können das. Aber selbst die alteingesessenen Kollegen stehen der Entwicklung konsterniert gegenüber.

Maike Schieler: Es ist mein Anspruch, dass ich an solchen Schulen arbeiten kann, und ich wollte diese Stelle haben. Aber ich merke, dass es mir keinen Spaß macht und dass ich oft nachmittags schlechte Laune habe. Solange ich es mir aussuchen kann, möchte ich nicht an einer solchen Schule arbeiten.

Anja Rosenkranz: Es geht darum, an den Schulen möglichst wenig Schulabbrecher zu haben. Es sitzen manche in den 8. Klassen, die volljährig sind. Für diese Schulen bräuchte man im Prinzip eine sozialpädagogische Ausbildung. Aber ich wollte eben Gymnasiallehrerin werden. Ich bin damit überfordert. Ich mache das nicht.

Wollen Sie an den Schulen, wo sie jetzt arbeiten, bleiben?

Maike Schieler: Es gibt seltene Momente, wo ich sage: ja. Aber de facto gehe ich ins Ausland, um dort Lehrerin zu sein. Sonst wäre ich unzufrieden.

Gregor Seebacher: Nein, auf Dauer bestimmt nicht.