Auf Du und Du mit der Literatur
: Tolerante Nothbüchlein

■ Ein Kongress zur Auseinandersetzung mit deutsch-jüdischer Presse

Besondere Ereignisse erfordern besondere Orte. Das „Institut Francais“ an der „Contres-carpe“ ist eine Adresse mit dem Flair des Internationalen. International ist auch die Tagung „Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung“, die dort am Montag eröffnet wurde. Und die gewählte Thematik dieser Tagung gebietet Deutschen ohnehin, sich nicht allzu national zu geben: „Deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus.“

Manch einer mag sich fragen, was es da noch zu tagen gibt. Schließlich scheint das deutsche Judentum im Zuge deutscher Vergangenheitsbewältigung doch längst genügend erforscht und kommentiert worden zu sein. Die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der ganzen Veranstaltung ist allerdings überraschend. So gibt Michael Nagel von der veranstaltenden Deutschen Presseforschung das bescheiden anmutende Ziel aus, einen „historischen Abriss“ zur deutsch-jüdischen Presse zu erarbeiten. Denn trotz deutscher Vergangenheitsbewältigung ist das Thema deutsch-jüdische Presse noch nie wissenschaftlich erforscht und in eine historische Übersicht gebracht worden! Lediglich als Quellenmaterial wurden die Zeitungen und Zeitschriften bisher von den Historikern gebraucht.

Der Startschuss zum Startschuss kam von Holger Böning. Der Bremer Literaturwissenschaftler dozierte über Erziehung zu Toleranz in Schriften der deutschen Popularaufklärung im 18. und 19. Jahrhundert. Toleranz und Literatur: Da darf natürlich Lessings Ringparabel nicht fehlen. Die richtete sich allerdings an das gebildete Volk, war somit für eine breite Wirkung nicht geeignet. Lessings Appell für Toleranz und Menschenliebe dem „gemeinen Mann“ nahezubringen war die Aufgabe von Autoren wie Rudolf Zacharias Becker. Dessen „Noth- und Hilfsbüchlein“ lieferte die gleiche Aussage – nur etwas anders formuliert: „Alle Menschen, Türk' und Jud' und Christ, sind unsere Brüder.“

Andere Volksaufklärer der damaligen Zeit wie Felix Waser forderten, den Menschen nicht nach seinen religiösen Ansichten zu beurteilen: „Denkt er gut und handelt er gut, so ist er im Grunde ein schätzens- und liebenswürdiger Mann, mag er glauben, was er wolle.“ Intensiv dachte man gerade im 18. Jahrhundert darüber nach, wie eine Bewusstseinsveränderung im Volk zu erreichen sei. So waren Zweck und Nutzen von moralisierenden Handlungen im Gespräch. Mit der Feststellung „Moral macht noch immer / den Starrkopf umso schlimmer“, legte Waser die Moralkeule in die Schublade.

Ganz bewusst verhinderte man auch die in der Aufklärung sonst übliche antithetische Gegenüberstellung „schlechter“ und „guter“ Figuren. Man befürchtete, bei Nennung schlechter Eigenarten der Juden Vorurteile des Lesers derartig zu bestärken, dass dieser im Antisemitismus verhaften bleibe.

Mit diesen neuen und überraschenden Forschungsergebnissen war bereits der Beweis für die Notwendigkeit einer solchen Veranstaltung erbracht. Wenn die anderen, aus aller Welt eingeladenen Referenten mit ähnlich interessanten Erkenntnissen aufwarten können, dann ist von dem Kongress viel zu erwarten.

Johannes Bruggaier

Die offen zugängliche Tagung findet noch heute im Institut Francais statt. Die Vortragszeit ist von 9 bis 19 Uhr.