Einsatz für die Allgemeinheit

Nicht nur für Arbeitslose wird ehrenamtliche Arbeit immer wichtiger. Im Nachbarschaftshaus Urbanstraße treffen sich heute Freiwilligeninitiativen, um über ihr Selbstverständnis zu diskutieren

von URSULA TRÜPER

Einmal pro Woche stellt sich der Informatiker Ralf Krämer (Name geändert) in die Küche der Kirchengemeinde Heilig-Kreuz, schmiert Stullen, kocht Kaffee, teilt Isomatten, Decken und Handtücher aus und macht am nächsten Morgen das Frühstück. Seit fünf Jahren engagiert sich der Sozialarbeiter im Verein Obdach e.V. Vom Kreuzberger Bezirksamt bekommt der Verein Geld für Lebensmittel und Material. Krämer und die anderen 13 Mitarbeiter des Vereins arbeiten allesamt kostenlos – ehrenamtlich also. Ralf Krämer mag die Arbeit im Verein, weil er so mit Menschen in Kontakt kommt, die er sonst niemals kennen lernen würde.

Obdach e.V. ist eine von vielen Initiativen, die sich in Berlin zu so genannten Freiwilligenagenturen zusammengeschlossen haben. Am heutigen Mittwoch treffen sie sich berlinweit zum dritten Mal zum Austausch. Thema dabei: das Selbstverständnis der Freiwilligenförderung.

Denn der Tätigkeit der Freiwilligen kommt mit dem Ende der Arbeitsgesellschaft eine wachsende soziale Bedeutung zu: Als Instanz der sozialen Vernetzung, als Kontaktbörse, als Möglichkeit, etwas Sinnvolles zu tun. Jeder dritte Bundesbürger über 14 Jahre ist ehrenamtlich tätig. Die Formen des „Ehrenamtes“ – auch „bürgerschaftliches Engagement“ oder „freiwilliges Engagement“ genannt – sind vielfältig. Sie reichen von der klassischen Vereinstätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr und in Sportvereinen über karitative Tätigkeiten, wie sie Kirchen und Wohlfahrtsverbände schon seit 100 Jahren anbieten, bis zu Selbsthilfegruppen in Jobbörsen und Tauschringen.

Neben dem „klassischen Ehrenamt“ in der Freizeit oder nach der Pensionierung gewinnt zunehmend eine neue Form an Bedeutung. Ungefähr ein Drittel der Ehrenamtlichen, die sich in Freiwilligenagenturen organisiert haben, sind arbeitslos. Mit Hilfe der Freiwilligenarbeit erwerben sie soziale und berufliche Kompetenzen und bauen Kontakte auf.

Als Petra Kaiser (Name geändert) nach zehn Berufsjahren ihren Job als Sekretärin kündigte, wollte sie sich zunächst einfach neu orientieren. Sie wandte sich an eine Freiwilligenagentur. Der erste Einsatz im Altenheim gefiel ihr nicht. Dann aber engagierte sich die 50-Jährige bei dem englischsprachigen Theater „Friends of the Italian Opera“. Und das war’s. Bald wird sie unentbehrlich. Sie sitzt abends an der Kasse, kocht Kaffee für die Schauspieler, räumt auf und tröstet auch schon mal nervöse Nachwuchskräfte, die zum Vorsprechen kommen. Nicht selten erweist sich ein Ehrenamt wie das von Petra Kaiser als Sprungbrett in einen neuen Job.

Das hat auch die Politik erkannt. Stärker als bisher setzt sie auf das freiwillige Engagement der Bürger. Der Bundestag hat dazu eine Enquetekommission eingesetzt, die bereits im Februar ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie soll die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die ehrenamtlich Tätigen entwickeln. Regeln sind dringend notwendig: Wer von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe lebt, ist darauf angewiesen, dass ihm Fahrgeld oder Benzinkosten erstattet werden. Dass er während seines Engagements versichert ist. Dass ihm die Zeit, in der er ehrenamtlich tätig ist, nicht vom Arbeitslosengeld abgezogen wird, weil er da dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Über diese und andere Forderungen werden heute Ehrenamtliche mit Karin Kortmann, Mitglied der Enquetekommission, im Nachbarschaftsheim Urbanstraße diskutieren.

Fachtag Freiwilligenvermittlung: Zum Selbstverständnis von Freiwilligenförderung, im Nachbarschaftshaus Urbanstr. e.V, Urbanstr. 21, 10961 Berlin, heute von 14–20 Uhr