WENN DER VERFASSUNGSSCHUTZ NEONAZIS ALS V-LEUTE REKRUTIERT
: Vertrauen ist gut

Das Problem beginnt bereits bei der amtlichen Definition: Bei V-Leuten steht das V nämlich nicht für Verfassungsschutz und auch nicht für Verbindung, wie man vermuten könnte, sondern allen Ernstes für „Vertrauen“. Dieses Vertrauen stützt sich auf eine angenommene und vorab zugrunde gelegte „Objektivität und Richtigkeit“ der gelieferten Informationen. Auch die vier rechtsradikalen „Vertrauens“-Männer des Verfassungsschutzes, die innerhalb der vergangenen neun Monate in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg aufgeflogen sind, besaßen dieses behördliche Vertrauen. Dass unser Inlandsgeheimdienst zu blinder Vertrauensseligkeit neige, werden indes nur Zyniker behaupten.

Dass es sich bei ihren V-Leuten nicht um Randfiguren oder Mitläufer handelte, war den Landesämtern in Schwerin, Erfurt und Potsdam ebenso bekannt wie dem Bundesamt in Köln. Für die Ämter wird eine V-Person natürlich immer interessanter, je tiefer sie in das extremistische Geschehen verstrickt und je höher sie in der dortigen Hierarchie angesiedelt ist. Erst dann, so lautet die verfassungsschützerische Philosophie, sind V-Leute in der Lage, wirklich relevante Informationen zu liefern. Bewusst werden dafür auch bisherige und unter Umständen künftige Straftaten ihrer Konfidenten in Kauf genommen. Ermahnungen zu „Objektivität und Richtigkeit“ bei der Anwerbung nehmen die Werber infolgedessen selbst nicht besonders ernst, denn Moral spielt in der Schattenwelt der Geheimdienste eine untergeordnete Rolle.

Das Dilemma, dass bisheriges und künftiges Treiben von V-Leuten durch behördliche Duldung quasi mit höheren Weihen versehen wird, wird diskret ausgeblendet. Information ist Futter und Kapital zugleich. Mit der gezielten Weitergabe von Informationen lässt sich bekanntlich gut Politik machen. Diese Vorgehensweise sichert dem Verfassungsschutz den Bestand und dem V-Mann die Einkünfte. Den Rechtsextremismus gäbe es freilich auch ohne verdeckte Unterstützung durch Verfassungsschutzämter. Was soll es also ausmachen, dass er zum Nutzen beider Seiten noch gefördert wird?

Lenin, russischer Revolutionär und Gründer der Sowjetunion, dessen bolschewistische Partei seinerzeit von zaristischen Agenten geradezu überschwemmt war, hat dies realistisch gesehen. Wollten die Informanten für den Geheimdienst von Wert sein, so Lenin, müssten sie zwangsläufig auch erfolgreich für die Partei arbeiten. Doch wer will heute noch von Lenin lernen? Verfassungsschützer offensichtlich nicht. OTTO DIEDERICHS