Auf Omas Spuren ...

■ Das 100-jährige Bestehen des „Frauenbundes für alkoholfreie Kultur“, der von Bremen aus ganz Deutschland eroberte, wird am 14. Juli groß gefeiert

Eine der hippesten, hübschesten Bremer Lokalitäten, die sich der kultivierten Einflößung von Rotwein und vergleichbaren Spezereien verschreiben, war von 1929 bis Ende der 70er Jahre strikt alkoholfreie Zone: das Ambiente am Osterdeich, einst „Milchhäuschen“ genannt. Gegründet und geführt wurde es vom „Deutschen Bund abstinenter Frauen“. Der feiert am 14. Juli seinen 100. Geburtstag und aus diesem Grund hat Cecilie Eckler-von Gleich, die rührige Chefin des Waller Geschichtszentrums „Brodelpott“, dem Verein und seiner resoluten Gründerin Ottilie Hoffmann (1835-1925) das hübsche Büchlein "Komm, wir gehen nach Ottilie“ gewidmet (Donat-Verlag, 99 Seiten mit reicher Bebilderung, 16.80). Nicht selten wird Cecilie Eckler-von Gleich von Bekannten insgeheim belächelt für diese Aufarbeitung der Bremer Abstinenzbewegung, klebt doch an dem Forschungssujet ein gewisser muffig-protestantischer Geruch. Als Politologin aber weiß sie natürlich, dass das Thema Alkohol mitten hineinstößt ins Herz des Kapitalismus: Arbeitslosigkeit, im Verzweiflungssuff prügelnde Ehemänner, versoffene Löhne und, daraus resultierend, hungernde Kinder und Ehefrauen. Nicht zufällig waren 10 der 13 Gaststätten des Vereins im Bremer Hafenviertel gelegen.

Die Ausgangsmotivation für Eckler-von Gleichs Buch war aber eine biografische: Ihre eigene Großmama Anna Klara Fischer war die Nachfolgerin von Ottilie Hoffmann und beeindruckte die Enkelin nicht nur durch ihre selbstbewusste Erscheinung, sondern auch durch eine umtriebige Lebensweise: Noch als 75-Jährige brachte sie als Vizepräsidentin des „Weltbundes Christlicher Abstinenter Frauen“ der kleinen Enkelin Pfauenfedern aus Indien und Kimonos aus Japan mit: Endstation eines Lebens, das in der rousseauis-tisch geprägten Wandervogelbewegung begann. Im dritten Reich bewirtete sie – damals in der Funktion der Bundesvorsitzenden des „Deutschen Frauenbundes für alkoholfreie Kultur“ – die SportlerInnen der Berliner Olympiade 1936. Als Pazifistin aber kämpfte sie zäh und trickreich gegen eine Eingemeindung ihres Verbands in die NSDAP – bis Oktober –43 mit Erfolg. Trotz des finsteren Blicks der Oma beim Anblick von Alkohol hat ihre Enkelin ein entspanntes Verhältnis zum Bier.

Aber zurück zur Bremer Abstinenzbewegung. Während der großen nordwestdeutschen Gewerbeausstellung 1890 muss die Bürgerweide einem hooliganverseuchten Liverpoolstadion geglichen haben. 40 gravierende Unfälle wegen Trunksucht sind in den Annalen verzeichnet. Dies ermunterte Ottilie Hoffmann dazu, die erste antialkoholische Gaststätte – es war ein Kaffeeausschank – einzurichten und 1891 den „Bremer Mäßigkeitsverein“ zu gründen. Die Idee importierte sie aus England. Denn die unverheiratete Frau, die ihr Leben lang größten Wert auf Selbstfinanzierung und Erfahrungszuerwerb legte und stolz darauf war „dass ich keinem Mann angehört habe“, arbeitete von 1881 bis 1890 in York-shire als Privatlehrerin im Haus der Gründerin des „British Women's Temperence Association“ (ab 1876), Lady Carlisle. Aus England übernahm Hoffmann auch die reizende Sitte, eine Kiste in eine Parkecke zu stellen und von der herab zu den Passanten zu predigen – für manche BremerInnen ein Zeichen von Irrsinn.

Die Abstinenzbewegung war bei Ottilie Hoffmann Teil eines allgemeineren sozialen und feministischen Engagements. 1867 gründete sie zusammen mit Marie Mindermann den „Bremer Frauenerwerbs- und Ausbildungsverein“. Als in Bremen 1903 der „Internationale Kongress gegen Alkohol“ weitgehend ohne Mitwirkung von Frauen stattfinden sollte, stellte eine wutentbrannte Ottilie Hoffmann flugs eine Gegenveranstaltung mit 1000 Teilnehmerinnen auf die Beine. Sie war auch Leiterin des Frauenstimmrechtskongresses 1904. In Ottilies Speisehäusern gab es kleine Bibliotheken und „Gesellschafts-spiele“, es wurde Schach und Tischtennis gespielt. Zusammen mit dem Jugendamt organisierte man Schwimmen für erwerbslose Jugendliche. Im Hafen existierten Ruheräume für die Arbeiter, im Haus am Osterdeich ein Stillzimmer für Mütter. Mit weißen Deckchen und Blumen bemühte man sich, der proletarischen Tristesse zu entkommen. Zeitweise schickte die Fürsorge ihre Arbeitslosen in die Speisehäuser. Bis zu 760 Gäste wurden pro Tag im Haus in der Katharinenstraße abgefertigt. Auch der Freimarkt wurde mit einem Ottilie-Hoffmann-Zelt bestückt.

Von Bremen inspiriert, formierten sich bald in allen anderen großen Städten Deutschlands Abstinenzvereine und alkoholfreie Speisehäuser. Im Krieg gingen alle Speisehäuser in Rauch auf, und in Eckler-von Gleichs Büchlein findet sich ein zutiefst ergreifender Brief, in dem Anna Klara Fischer von der Nacht im Schutzbunker erzählt, in der Liebfrauenkirche, Bahnhof, Schütting und Baumwollbörse zugrunde gebombt wurden und die Abstinenzlerfrauen durch einen Regen „dicker Feuerflocken“ in Hitzewinden durch die Straßen hechteten, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. bk

Heute hat der „Frauenbund für alkoholfreie Kultur“ seinen Sitz in der Herderstraße 74, Tel. 73333. 14. Juli, 12.30h: Feier und Vortrag von Koautorin Hannelore Cyrus im Rathaus; um 19h hält Eckler-von Gleich einen Diavortrag im Bürgerhaus Weserterrassen