: Big Brother Shakespeare
Robin & William mit ihrem „Wie es euch gefällt“-Sommertheater in der Klosterkirche
Es dämmert. Durch himmelwärts strebende gotische Spitzbogenfenster dringen die letzten Sonnenstrahlen. Das mittelalterliche Gemäuer ist verfallen. Die backsteinernen Überreste sind mit Gräsern und Büschen bedeckt, Efeu wuchert über den Steinfußboden. Im langgestreckten Halbrund des Kirchenschiffs eine lange Tafel, an der knapp ein Dutzend Gestalten in Räuberzivil die Becher kreisen lassen. Einer hebt zum zarten, hellschimmernden Gesang an. Jahrhundertealte Weisen brechen sich Bahn. Englische Landedelleute im Exil oder entlaufene Bauern mit Hang zum Höheren? Man glaubt sich zu den Dreharbeiten zur 500. Verfilmung von Robin Hood versetzt. Tatsächlich sind wir jedoch in der Ruine der Klosterkirche in Berlin-Mitte; in einem Shakespeare-Stück.
Die Überlieferungen des Altmeisters erfahren seit geraumer Zeit eine Renaissance. Nicht als raffinierte, hochphilosophische Reflexionen zur Zeit. Eher heruntergefahren als Sommerstücke, Trash, Amüsement. Castorfs neues Globe Theatre im Prater zählt dazu, das alljährliche Hexenkessel-Sommertheater und eben jetzt „Wie es euch gefällt“ von der Con-t-act Company im Rahmen des Freilicht-Theaterfestivals „Ungeschütztes Theater“ in der Klosterruine.
„Ungeschützt“ bezieht sich auf den Spielort, der seines Daches enthoben keinen Schutz mehr vor dem Wetter bietet. Es bedeute auch „nicht subventioniert“, sagt die Organisatorin Rita Lehn. Und vor allem „frei, niemandem verpflichtet“. Das klingt kämpferisch, etwas verzweifelt und stimmt melancholisch. Mit der Metaphorik des „Vogelfreien“ und „Ungeschützten“ klingt noch ein Nachbeben der zornigen Zeiten des freien Theaters dieser Stadt an – das nun im Rückzug begriffen ist. Um einfaches, derbes, sinnliches und ehrliches Schauspielertheater geht es. Neun freie Theatergruppen nehmen am Festival teil. Man tut ihnen Unrecht, sperrt man sie in ein besonderes Biotop.
„Wie es euch gefällt“ kann sich sehen lassen. Dem bukolisch-freizügigen Sherwood-Forest-Ambiente des verbannten Herzogs ist der dekadent-fiese Hofstaat des Thronräubers Frederick gegenübergestellt. Zwar walzen Jan Damitz und Merten Schroedter gelegentlich das Motiv des schwuchtelnden Herr-Günstling-Pärchens zu sehr aus, aber meist sitzen die überzogenen Gesten jedoch perfekt. Als Narr überzeugt Frank Roder. Lediglich das blasse Brüderpaar Oliver (Jörg Koslowsky) und Orlando (Lars Wild) fällt ab. Das ist schade, weil ihre Liebesgeschichten die Story vorantreiben sollen. Wie üblich bei Shakespeare sind einige Hindernisse zwischen dem Entflammen der Begierde und deren Befriedigung gesetzt. Erst nach diversen Maskierungen, Fluchten und Genderspielen können die insgesamt drei Paare sich paaren. Mit offenen Wechseln belebt Regisseurin Gunda Mapache dieses Spiel. Aus dem Gefolge des verbannten Herzogs schält sich auf offener Bühne flugs der Hofstaat des fiesen heraus.
Eigentlich, fällt uns beim abschließenden Bier ein, ist „Wie es euch gefällt“ eine herrliche Soap. Liebe, Intrigen, Verrat, Verwechslungen, schöne Menschen – und ein Happy End. Um die Soap im Hier und Heute ankommen zu lassen, spielte man sie am besten mit eingeführten Figuren wie Zlatko & Sabrina. Schauspieler verkörpern unsere Big-Brother-Lieblinge, die ihrerseits Rosalinde und Orlando, Celia und den Herzog spielen. Unklar nur, erwächst dann aus der B-B-Besetzung die Shakespeare-Personage oder verwandelt sich der Mittelalterspuk ins Containersetting? Sind beide Seiten gar als Möbius-Band ineinander verschlungen?
TOM MUSTROPH
Festival „Ungeschütztes Theater“, bis 13. 8., jeweils Mi–So 21 Uhr, Klosterruine, Kloster-/Ecke Grunerstr.
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