Das Lächeln des Langstreckenläufers

„Schlagt ihn nicht ans Kreuz“: Das Misstrauen gegenüber den Medien ist bei Jamaikas Dancehall-Star Buju Banton notorisch. Auf seiner neuen Platte „Unchained Spirit“ überrascht der strenge Rasta neuerdings mit weichgespültem Bekenntnispop

von NILS MICHAELIS

Mit federnden Bewegungen swingt Buju Banton die Treppe hoch. Der Mann, der seit rund zehn Jahren zur ersten Garde jamaikanischer Dancehall-Stars gehört, ist ein sehr großer, sehr dünner Kerl – Typ Langstreckenläufer. Mit einem freundlichen Lächeln setzt sich Banton an den Gesprächstisch. Doch das Lächeln hält nicht lange an.

Der Langstreckenläufer wirkt angespannt. Er hat eine anstrengende Woche vor sich: haufenweise Interviews und mit „Unchained Spirit“ eine etwas flau ausgefallene Platte im Gepäck. Nur wenige Journalisten werden ihm dafür anerkennend auf die Schulter klopfen.

Aber Bantons Verhältnis zu den Medien Babylons ist ohnehin gespannt. 1992 veröffentlichte er die Single „Boom Bye Bye“, deren Text ein unverhohlener Mordaufruf an Schwulen war. Der Protest, den die zunächst sehr erfolgreiche Single entfachte, brachte Banton unter Druck. Entschuldigt hat er sich aber nie. Trotzigkeit des damals 19-Jährigen oder Überzeugung des inzwischen 27-Jährigen? Buju Banton äußert sich nicht. Einen Hinweis gibt allenfalls sein Kommentar zum Nachwuchsstar Sizzla, der unlängst durch hysterische Kampfansagen an die Welt der Weißen von sich reden machte: „Sizzla ist jung und unbedacht – so, wie ich es früher auch einmal war. Schlagt ihn nicht ans Kreuz. Erwachsen werden ist ein Prozess des Lebens.“

Zumindest in der Reggaewelt rückten Bantons einstige Ausfälle in den Hintergrund, nach einer Reihe hervorragender Platten, seiner Unterstützung von Aids-Projekten für infizierte Kinder und seinem Engagement bei einer Kondom-Kampagne – so sehr, dass man sich „Unchained Spirit“ fast schon unvoreingenommen widmen kann. Doch dabei fragt man sich unversehends, wo der strenge Rasta von einst geblieben ist. Ska, Reggae, Dancehall treffen auf R ’n’ B, Indierock und Mainstream-Pop, aber eine eigenständige Synthese kommt dabei nicht zustande. Im Versuch, den „westlichen“ Hörgewohnheiten entgegenzukommen, wirkt diese Produktion wie mit viel zu viel Wasser aufkocht, weniger wie ein souveränes Spiel mit Stilelementen.

Das merkt man schon am Anfang von „Unchained Spirit“, wo sich der Hörer erst einmal durch den Tiefpunkt der Platte arbeiten muss: Da gibt es das Werbefilm-Saxophon und eine an Marleys „Redemption Song“ angelehnte, aber ungleich lahmere Melodie. Und da findet im Gospel- und Reggaegewand Auferstehung, was früher einmal „Rockballade“ hieß. Derweil umspielt das folgende „Voice Of Jah“ das klamme „We Are The World“-Gefühl und erinnert an das kuriose Genre evangelischen Bekenntnispops.

Das Stück „Sudan“ leitet dann zum Dancehall-Teil der Platte über: Ein schwebender Rhythmus, der an die Sly-&-Robbie-Produktionen für Grace Jones denken lässt, und ein eingängiger Refrain – das wirkt zwar nicht bewusstseinserweiternd, entwindet sich aber dem unbeholfenen Bombast der vorhergehenden Songs. Dann folgt unerwartet der Höhepunkt der Platte: „We Be Alright“ verströmt glückliche, grade Vibes und ist zudem auf einer gelungenen Komposition gebaut. Für das direkt folgende Stück, das zweite Highlight, hat sich Banton den transzendentalsten unter Jamaikas Schnulzenkönigen ins Studio geholt, den mächtigen Beres Hammond. Dessen Zeile „Pull up the vibes that you are playing and than you play some more“ fasst das Song-Feeling zusammen.

In der persönlichen Begegnung mit Banton ist vom Gefühl kraftvoller Zuversicht allerdings wenig zu spüren. Auf die Frage, ob sein Rastafarianismus nicht ein Bruch mit der frühen Girls-Guns-und-Geld-Phase sei, reagiert er gereizt: Damals wie heute sei es ihm um spirituelles Erleben gegangen, grollt er unwirsch. Auch wenn man ihm das nicht so recht glauben mag – in all seiner Widersprüchlichkeit strahlt Buju Banton ein rätselhaftes Charisma aus. Er hat die Rolle des Tricksters perfektioniert: Im Gespräch wechseln sich Anflüge formvollendeter Höflichkeit mit bedrohlich stechenden Blicken ab, da werden Sätze mit einem klagenden Unterton begonnen, um unversehens in ein Raunen zu kippen. Manchmal wirkt er, als stünde er neben sich. Da stand er wohl auch, als er seine Platte produzierte.

Buju Banton: „Unchained Spirit“ (Epitaph, ab 24. Juli) Tour: 15. 7. Berlin, 16. 7. Hamburg