Genossen – aber riesig

Die Kooperative MCC ist heute das drittgrößte Unternehmen Spaniens und operiert weltweit. Die reine Lehre lässt sich nicht immer durchhalten

aus Madrid REINER WANDLER

Der Mann in dunklem Anzug, blauem Hemd und Krawatte nennt sich stolz Vorsitzender des Verwaltungsrates. Ein Amt, zu dem sein Diskurs über betriebliche Demokratie, Arbeiterrechte und -beteiligung gar nicht so recht passen will. Doch Antonio Cancelo ist nicht irgendein Chef. Er wurde von den knapp 47.000 Mitarbeitern des Unternehmens gewählt. Mondragón Cooperación Cooperativa (MCC) ist nach der ehemaligen staatlichen Telekommunikationsgesellschaft Telefónica und der Kaufhauskette Corte Inglés der drittgrößte Arbeitgeber Spaniens. In Sachen Verkaufsvolumen liegt der Betrieb auf Platz 7. Das Besondere: MCC ist eine Genossenschaftsverband.

„Wir sind Großbetrieb und Kleinbetrieb in einem“, erklärt Cancelo. Zu MCC gehören 83 Genossenschaften. Jede Kooperative verwaltet sich selbst und gehört ihren Mitarbeitern. Der Verbund kümmert sich um Finanzierung, Vertrieb, Forschung und Ausbildung. „Die Stärke liegt nicht darin, zentral jedes Projekt zu verwalten, sondern gemeinsam den Rahmen abzustecken“, erklärt Cancelo.

Die erste Genossenschaft entstand 1956 im baskischen Mondragón, einem Dorf, das damals an chronischer Arbeitslosigkeit litt. Der Dorfpriester José María Arizmendiarrieta gründete eine Berufsschule und später dann mit einigen Schülern die Genossenschaft Ulgor, ein Unternehmen für Haushaltsgeräte. Das Beispiel fand Nachahmer. Aus Ulgor, das sich heute Fagor nennt, ist längst der größte Hersteller von Haushaltsgeräten auf der iberischen Halbinsel geworden. Von Marokko bis nach China produzieren Zweigstellen.

Besitz der Produktion

MCC hat fast alles in der Produktpalette. Von Lebensmittelverarbeitung über Automobilzulieferer, Elektronikunternehmen bis hin zu Werkzeugmaschinen und einer eigenen Supermarktkette. „Machbar ist, was auf dem Markt Erfolg verspricht“, nennt Cancelo die Aufnahmekriterien für neue Kooperativen. „Wer nicht lernt, den Markt zu befriedigen, der geht unter, egal welche Gesellschaftsform er sich gegeben hat.“ Selbstverständlich spiele das Genossenschaftskonzept eine wichtige Rolle. „Das Ergebnis ist besser, wenn der Arbeiter im Besitz der Produktionsmittel ist“, sagt der Vorsitzende.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Im letzten Jahr wuchs der Ertrag um 17,3 Prozent. Das Verkaufsvolumen überschritt erstmals eine Billion Peseten (elf Milliarden Mark), 4.700 neue Arbeitsplätze wurden alleine 1999 geschaffen. In den nächsten vier Jahren will MCC vor allem die internationale Präsenz ausbauen. Statt bisher 22 Fabriken sollen künftig 57 außerhalb Spaniens produzieren. Der dynamischste Bereich wird dabei die Zulieferung für die Autoindustrie sein.

Nicht alle kooperieren

Mit der Expansion außerhalb der Täler rund um Mondragón begannen allerdings auch die ideologischen Probleme. Nur in der Nachbarregion Navarra und in Katalonien, der Region rund um Barcelona, unterhält MCC Genossenschaften. Ansonsten werden ganz normale Zweigstellen mit ganz normalen Arbeitsverträgen aufgebaut. „Das hat mehrere Gründe“, erklärt Cancelo. Nicht überall sei das kulturelle Klima für Kooperativen gegeben. „Erzählen Sie mal einem Arbeiter in Mexiko, dass er für seinen Arbeitsplatz eine halbe Million Peseten (6.000 Mark) als Betriebsbeteiligung investieren muss, bevor er anfangen darf zu arbeiten. Das funktioniert selbst dann nicht, wenn wir wie in Mondragón günstige Kredite geben.“

Dennoch versucht MCC auch in den Filialen das Personal an der Verwaltung, dem Kapital und den Gewinnen zu beteiligen. Dazu wurden Beteiligungsgesellschaften gegründet. Die Mitarbeiter halten dort ihre Anteile und investieren in der Filiale. Damit haben sie Einfluss auf die Geschäftspolitik und werden am Ende vom Jahr bei der Gewinnausschüttung berücksichtigt. „Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Dennoch haben wir vor allem in unserer Supermarktkette Eroski die Erfahrung gemacht, dass alle beitreten“, zeigt sich Cancelo zufrieden.

Dass der Genosse in Mondragón mit diesem Zweigstellensystem zum Kapitalisten wird, stört Cancelo nicht. „Wir sind nie davon ausgegangen, dass wir mit unserem Modell die Gesellschaft ändern“, sagt der MCC-Vorsitzende. Er glaubt nicht an den „dritten Weg zwischen Marxismus und Kapitalismus“, den viele Intellektuelle in den 70er- und 80er-Jahren in den Genossenschaften suchten. „Eine Genossenschaft ist eine bessere Art zu arbeiten und sonst nichts.“

Im Netz: www.mondragon.mcc.es