Gegen den drohenden Rotstift

■ Neugründung statt Einstellung: die oppositionelle Wiener Zeitschrift coco stellt sich in der Galerie 88 vor

coco ist ein Donnerstagskind, gewissermaßen. Ein Kind jener donnerstäglichen Demonstrationen, die in Wien noch immer regelmäßig gegen die Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ stattfinden. „Susi Klocker und Christina Nemec schlossen sich dem wöchentlichen Demonstrationszug gegen die blau/schwarze Regierung an“, heißt es in eigener Darstellung. Angesichts einer österreichischen Presselandschaft zwischen Regierungstendenz und drohendem Rotstift wuchs das Bedürfnis nach eigenem Ausdruck. „Wenn Medien über die Dinge, die im Rahmen der sogenannten Widerstandsbewegung' passieren, nicht berichten, dann machen wir unser eigenes“, sagen die Organisatorinnen. Mit coco, die Kurzform für cosmonaut's collective, stellt sich ein greifbares Ergebnis dieser Überlegungen jetzt auch einem hamburgischen Publikum vor.

Das Heft soll künftig etwa dreimonatlich erscheinen. Die jetzt vorliegende Augabe Null versammelt zum Beispiel Texte und Grafiken zur aktuellen Lage in Österreich, zu dessen jüngerer Geschichte sowie zu Rassismus und neuer Ordnungspolitik im gegenwärtigen New York.

Deutlich einem kulturell/künstlerisch arbeitenden Spektrum entstammend, verlieren die MacherInnen dabei nie die harte soziale Rahmung der verhandelten Themen. Die euthanasie-trächtige Geschichte der Kinderheilanstalt am Spiegelgrund, die institutionalisierte Gängelung des österreichischen Kulturbetriebes, bildungspolitische „Sparschweinezyklen“, das Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal: Die Themen sind – anders als das Layout – durchaus ernst.

Originell ist da, wenn selbst noch Mitglieder der kanadischen Indie-Orchesterkommune Godspeed You Black Emperor nach ihrer Einschätzung des österreichischen Status Quo befragt werden. Ein wenig bemüht brisant klingen dagegen die Abgrenzungen des ansonsten ja hochgeschätzten Hamburger Avant-Entertainers Felix Kubin gegenüber bürgerlichem und „demokratischem Schrott“.

Überhaupt Hamburg: Was treibt ein Organ (unorganisierter) Wiener Opposition in eine klüngelnde Kiezgalerie? Nun, die Drähte der coco in entsprechende Kreise hiesiger Teilkulturen sind nicht die schlechtesten, und so finden sich neben Kubin auch die 45-rpm-Sexismen hiesiger Diskotheker, Die Patinnen oder die TopTen-DJs wieder – der Artikel wiederum stammt von Luka Skywalker, die die coco-Herausgeberin Christina Nemec wiederholt hinter hiesige Turntables geladen hatte. Für die Präsentation in der Clemens-Schultz-Straße kündigen die VeranstalterInnen an: „Wir bringen Videos ... mit“ – und, wer weiß, gar den irgendwo in Aussicht gestellten „Agitprop im modernen Kleidchen“? Alexander Diehl

Präsentation von coco – cosmonaut's collective, Galerie 88, Clemens-Schultz-Str. 88, Sonntag, 21 Uhr.