New Parades on the Block

Noch eine „Demonstration“, noch eine Parade: Am Samstag organisierten neun Modelabels den „Walk of Fashion“ in Mitte. Francesco Lipari von Electro Bund sieht eine große Zukunft, denn: „Auf der ersten Love Parade waren auch nur 200 Leute“

Der Moderator sieht aus wie Thomas Anders, heißt aber Gunnar König. Es ist Samstag, kurz vor sechs, und das Publikum, das sich in den Heckmann-Höfen eingefunden hat, genießt die wenigen Sonnenstrahlen des Tages. Der Moderator tut das auch und will den Wettergott mit Elton Johns „Don’t let the sun go down“ gnädig stimmen. Zum zweiten Mal hat Coiffeur Civan mit dem „Walk of Fashion“ durch Mitte zu einer „Demonstration der aktuellen Berliner Modeszene“ eingeladen.

Es gab nur sehr wenige Zeugen, die beim ersten Mal dabei waren. Aber die fanden das richtig großartig. „Demonstration“, „wenige waren das erste Mal dabei“, „großartig“: liest sich wie der Stoff, aus dem der Mythos Love Parade gewebt ist. Vor ziemlich genau einem Monat hatten auch die Berlin Mitte Boys schon zur „Mitte Parade“ geladen, die im Nachhinein von den meisten mit einer ähnlichen Attribut-Kombination belegt worden war.

Die Konkurrenz zum Walk of Fashion wie auch die Erwartungshaltung gegenüber dem Event sind also gleichermaßen groß – und dann trifft man auf einen Familiengeburtstagsentertainer. Aber man lernt schnell zu verstehen. Als sich die Models schon bereit gestellt haben, weiß beispielsweise der verantwortliche Verkehrspolizist die Route nicht, die er an der Spitze der Parade befahren soll. „Wirst schon sehen“, tröstet ihn ein Kollege, und so verläuft auch der ganze Abend. Immer geschehen unvorhergesehene Dinge, mit denen man dann irgendwie zurecht kommen muss. Hinter der Polizei folgt gleich der Chevy des Sponsors Rock Radio 87.9, auf dem zwei „heiß“ gekleidete Frauen zu Rockmusik „sexy“ tanzen.

Aber schließlich setzt sich, Model nach Model, eine elegante Linie in Bewegung. Auch die untermauert den ersten Eindruck: ein bunter Reigen Disparates. Zwei Labels fallen besonders auf. Für Electro Bund, die neue Zweitmarke von Betty Bund, ist Francesco Lipari verantwortlich. Alltägliche Formen wie T-Shirt und Hose kriegen bei ihm den Minimal House Touch – leichte Stoffe, dezente Hingucker, überwiegend in weiß und blau. Atemberaubend poetisch wirken dann die Figuren, die Claudia Grimm durch Gips- und Rosenthaler Straße schreiten lässt. Grimms kuttenartige Gewänder wirken futuristisch und archaisch zugleich, ein wenig so wie die Jedi-Ritter in den Star-Wars-Filmen, nur stärker auf das Material als auf den Körper konzentriert. „Off-White“ heißt die Kollektion, die von der Kleidung der Inuit inspiriert ist und mit der Grimm als „Newcomer des Jahres“ zum Fashion Walk kam. Dabei hat sie als Mitarbeiterin von John de Maya wahrscheinlich mehr internationale Erfahrung als die meisten anderen teilnehmenden Labels.

Bis auf eine Ausnahme kann der Rest auch nicht großartig begeistern. Nur Karsten Fischer schickt noch ein paar schöne viktorianisch anmutende Kostüme in die Menge, live begleitet von Smash Gallery, einem Blues(!)-Trio mit Drag-Queen-Sängerin. Immerhin, Francesco Lipari von Electro Bund ist sehr zufrieden mit der Veranstaltung. In ein, zwei Jahren sieht er die große Zeit der Mode-Demo gekommen. „Auf der ersten Love Parade waren auch nur 200 Leute“, sagt er.

CHRISTOPH BRAUN