Aus dem Urwald kommt die Kraft

Besuch bei Kongos unbekanntesten Rebellen: Die MLC führt mit primitivsten Mitteln einen erfolgreichen Krieg gegen das Kabila-Regime

aus Imese FRANÇOIS MISSER

Es ist ein leiser Krieg. Auf den stillen Wasserläufen des Kongo-Flussbeckens, die sich endlos durch den zentralafrikanischen Urwald schlängeln, bewegen sich die Rebellen wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, auf Einbäumen von zwanzig Meter Länge, in denen jeweils um die 50 Mann Platz finden. Mit kaum fünfzehn Stundenkilometern steuern sie den Ubangi-Fluss hinab. Von den drei Außenbordmotoren wird immer nur einer eingeschaltet, um Benzin zu sparen. Kaffeebohnen in die eine Richtung, Soldaten in die andere: Die „Kongolesische Befreiungsbewegung“ (MLC) hat den von ihr beherrschten Nordwesten der Demokratischen Republik Kongo entlang der Flüsse organisiert. Sie sind die einzige Infrastruktur, deren Erhalt nicht von menschlichen Anstrengungen abhängt.

Es ist ein lauter Krieg. Am 27. Juni hörten die Bewohner der Kleinstadt Imese Kanonendonner. 35 Kilometer flussabwärts, jenseits der Frontlinie, hatte die Armee des kongolesischen Präsidenten Laurent Kabila vier Kriegsschiffe in den Ubangi-Fluss gestellt und ließ von dort den ganzen Tag schwere Artilleriegeschosse regnen. Zugleich flogen Kabilas Bomber Luftangriffe. Es war nicht der erste schwere Angriff und auch nicht der letzte. Die Bomben haben viele Häuser zerstört, eine Rakete hat das Kirchendach von Imese zerschlagen.

Nachts zum anderen Ufer

Nachts ist Imese nun menschenleer. Nur die Soldaten der MLC bevölkern dann noch den winzigen Ort mitten im Dschungel, der nur per Fluss erreichbar ist. Weil sie Angst vor neuen Angriffen haben, übernachten die etwa 5.000 Einwohner von Imese im Wald, oder sie setzen sich abends in ihre Fischerboote und überqueren den Fluss. Am anderen Ufer beginnt ein anderes Land: Kongo-Brazzaville, das in diesem Krieg keine Rolle spielt. Dort gibt es jedoch nichts zu essen für sie, außer für die Alten, die Frauen und Kinder, und daher kehren die Männer jeden Morgen wieder nach Imese zurück, um ihre Felder im Wald zu bestellen. Bei Sonnenuntergang beginnt die Rückreise, mit Booten voller Öl, Bananen, Mais und Maniok.

Tagsüber ist Imese eine normale Frontstadt. In Schützengräben mit Blick auf den Fluss warten die Soldaten der MLC auf die befürchtete Bodenoffensive Kabilas. Am liebsten würden sie selber vormarschieren und den Feind überraschen. Major Alembia, Kommandant des 14. MLC-Bataillons, sagt, er bekomme viele Appelle der Zivilbevölkerung hinter der Front auf Kabila-Territorium, die ihn bitten, zu kommen und der Gewaltherrschaft der kongolesischen Regierungstruppen ein Ende zu setzen. Aber weil die UNO auf die Einhaltung des seit 1999 geltenden Waffenstillstands pocht, halten die Rebellen still. Und Kabilas Truppen beschränken sich auf Artilleriebeschuss. Sie haben Angst, weil sie sich nicht in den Wald trauen, meint der Major.

Dieugentil Alembia ist ein typischer Kongo-Krieger. Der Major, der im Stile des angolanischen Rebellenchefs Jonas Savimbi einen Vollbart trägt und sich erst nach dem Endsieg wieder rasieren will, diente einst in der Armee des zairischen Diktators Mobutu. Als Mobutu 1997 von Kabila gestürzt wurde, floh Alembia wie viele andere Mobutu-Getreue ins benachbarte Kongo-Brazzaville und half dort wenige Monate später dem heutigen Präsidenten Denis Sassou-Nguesso, mit Waffengewalt die Macht zu ergreifen. 1999 setzte er sich ab und kehrte in sein Land zurück, als dort wieder erfahrene Rebellen gegen Kabila gesucht wurden.

Sergeant Botay, auf den Alembia bei der MLC stieß, ist ebenfalls Veteran der Mobutu-Armee. Er verließ bei Mobutus Sturz nicht das Land, sondern blieb in der Armee, nunmehr Kabila untergeben. Im Sommer 1998 war er von Anbeginn an der Rebellion gegen Kabila beteiligt. Er nahm an einer erfolglosen Meuterei teil, schlug sich ins Unita-Gebiet von Angola durch und wurde von dort nach Ruanda ausgeflogen. Von dort marschierte er erst nach Kisangani und dann mit der MLC quer durch den Norden des Kongo. Jetzt, in Imese, ist er fast am Ziel. Er wartet nur noch auf den Befehl, die größte Stadt dieser Urwaldgegend, Mbandaka, einzunehmen, die Kabila noch kontrolliert. Dort wohnt seine Familie. Die will er „befreien“.

20.000 Soldaten zählt die MLC, ihr Führer Jean-Pierre Bemba nennt sie „meine Kinder“. Hier sind sie zu Hause. Viele von ihnen kommen aus dieser Region, sind groß geworden im Urwald und an den Flüssen. Auf der Reise im Einbaum den Ubangi-Fluss hinunter, der im Nordwesten der Demokratischen Republik Kongo die Grenze zu Kongo-Brazzaville und der Zentralafrikanischen Republik bildet, werden die Soldaten am Flussufer warmherzig begrüßt. Ein junges Mädchen kommt im Boot herangerudert und wirft den Soldaten Mangos zu. Im Krankenhaus von Libenge liegt ein Armeedeserteur, der von der Bevölkerung zusammengeschlagen wurde. Nachts schlafen die Soldaten unbehelligt in den Dörfern. Anders als bei den Rebellen im Osten des Kongo Richtung Ruanda kämpfen im MLC-Territorium keine feindlichen Milizen gegen die Rebellenherrschaft.

Aber die MLC ist nicht einfach eine Heimatbrigade für Nordwestkongo. Sie hat Mitglieder aus allen Landesteilen des Kongo. „Kabila kenda“ – Kabila raus – ist ihr Leitwort. Die MLC ist keine Bettlerarmee, wie es sie in vielen Gegenden Afrikas gibt. Die Soldaten haben Uniformen, Stiefel und Munition. Sie bekommen von ihren Kommandeuren zu essen, was in Afrika keine Selbstverständlichkeit ist. Nur Sold bekommen sie nicht. Stattdessen kaufen die Kommandanten den Bauern Nahrungsmittel ab und verteilen diese dann unter den Soldaten. Eine harte Disziplin hält die Truppe auf Linie. Im Gefängnis der Stadt Lisala sitzen mehrere Dutzend Militärs, die sich „schlecht benommen“ haben.

Ein Halbgott will Bemba nicht sein

Der 39-jährige MLC-Führer Bemba, Sohn eines der reichsten Geschäftsleute der Mobutu-Ära, will eine „neue Ethik“ im Kongo einführen. Er lebt zwar in der ehemaligen Villa seines Vaters in Mobutus Geburtsort Gbadolite, aber er hat sich demselben militärischen Training unterzogen wie seine Truppe und besucht oft die Front. Die Soldaten lieben ihn, nennen ihn „Bai-Moto“, den Mann des Feuers. Aber Bemba wehrt sich gegen den Verdacht, hier entstehe Personenkult. „Sie sehen mein Foto nicht an jeder Wand, und das Radio nennt mich nicht Halbgott“, erklärt der Rebellenchef in einem kaum verborgenen Seitenhieb gegen Kongos Präsident Kabila.

Die MLC beherrscht ein Gebiet von 450.000 Quadratkilometern, das zu den am wenigsten erschlossenen der Erde zählt. Aber hier gibt es Kaffee, Kakao, Diamanten, Grundnahrungsmittel in Hülle und Fülle. Die Rebellion organisiert die Wirtschaft anders, als es Kabila tut: Sie will nicht alles selber machen, sondern beschränkt die Aktivitäten der Behörden auf die Einnahme von Exportsteuern – 20 Prozent für Kaffee, 10 Prozent für andere Waren, auch Diamanten. Die alten korrupten Führer der Mobutu-Clique, die Bemba aus familiären Gründen gut kennt, sind in seinem Reich unerwünschte Personen.

Nicht, dass die Wirtschaft blühen würde. Finanzminister François Mwamba präsentiert das Jahresbudget der MLC: ganze drei Millionen Dollar, wovon die Hälfte aus den Kaffeesteuern gedeckt ist. Die Palmölplantagen, die früher den Ubangi-Fluss säumten, sind verwaist. Die Leute leben von der Subsistenzwirtschaft. Importgüter wie Bier oder Zigaretten sind für die meisten unerschwinglich. Die Stärke der MLC ist, dass sie keine großen Städte zu verwalten hat, die von außen ernährt werden müssten. Das Land lebt vom eigenen Reichtum, die Leute produzieren, was sie brauchen. Lebenswichtiges wie Salz und Medikamente allerdings fehlt.

Allein in der MLC-Hauptstadt Gbadolite gibt es ein wenig Außenhandel. Libanesische Geschäftsleute und auch einer aus dem Sudan importieren ein paar Konsumgüter und exportieren die Rohstoffe der Region. Der libanesische Geschäftsmann Samir ist aus Bangui hierher gezogen, Hauptstadt der benachbarten Zentralafrikanischen Republik. Hier sei es viel sicherer als dort, wo Diebe die Fernstraßen unsicher machten.

Strom nur aus dem Generator

Aber der lange Krieg und die Isolation der Region haben das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen. Strom gibt es nur, wo jemand einen Generator hat. Autos fahren fast nirgends – die Flüsse sind einfacher zu bewältigen als die wenigen verrotteten Urwaldstraßen. In der Stadt Libenge, wo immerhin 20.000 Menschen wohnen, gibt es genau zwei Lastwagen und einen Geländewagen, der der italienischen Missionsstation gehört - die einzige noch verbliebene ausländische Organisation im gesamten MLC-Gebiet. In der Hauptstadt Gbadolite mit etwa 40.000 Einwohnern fahren etwa 50 Autos. Benzin ist teuer und rar; es wird aus Uganda eingeführt.

Uganda, auf dessen Initiative die MLC 1998 entstand und dessen Armee 1998 Kabila aus dieser Region des Kongo vertrieb, macht sich kaum bemerkbar. Ein paar ugandische Militärs an Luftabwehrstellungen in Gbadolite, ein paar Ausbilder, ein paar Techniker und Ärzte – das ist alles. Die Bevölkerung spricht von Uganda weder gut noch schlecht, sondern überhaupt nicht. Die meisten uganischen Soldaten haben sich zurückgezogen. Die MLC bereitet sich bereits auf ein Leben ohne Schutzmacht vor. Bisher deckt Uganda 40 Prozent der Militärausgaben der MLC – bis Jahresende soll der Anteil auf 10 Prozent sinken. Das erklärt aus Sicht der MLC auch, warum Kabila in diesem menschenleeren Urwaldgebiet so intensiv bombardieren lässt. „Kabila will uns daran hindern, die Wirtschaft aufzubauen, damit wir uns so benehmen müssen wie seine Soldaten, also als Plünderarmee“, sagt MLC-Generalsekretär Olivier Kamitatu. Denn Kabila setze darauf, dass die MLC sich nach dem Rückzug Ugandas nicht mehr finanzieren kann.

Aus Sicht des MLC-Chefs Bemba hat Kabila den stockenden Kongo-Friedensprozess damit begraben. Er beklagt sich bitter, dass die UNO keine Beobachter entsendet, die die Schäden der Bombenangriffe begutachten. Und er warnt: „Entweder soll die internationale Gemeinschaft Kabila isolieren, oder sie soll uns unsere Verantwortung übernehmen lassen. Falls wir ihn morgen stürzen, um eine neue politische Ordnung einzusetzen, soll sie uns nicht verurteilen!“ Die Rebellen in Imese verlieren ihre Geduld.