piwik no script img

Flammen aus dem Jenseits

Plötzlich raucht der Motor. Und wir sind mitten in der Geschichte vom brennenden Auto

Das war verdammt unheimlich: Jörg, ein Klassenkamerad von TKKG, und seine Mutter wurden terrorisiert. Jörgs Stiefvater, steinreicher Computer-Fabrikant und teuflischer Erfinder, war nach Zerwürfnissen mit seiner Frau vor einem Jahr gestorben. Er hatte geschworen, sich aus dem Jenseits zu rächen. Ein gruseliger Fall für TKKG ...

In voller Lautstärke dröhnte „Spuk aus dem Jenseits“, die zweiundachtzigste und nach Angaben aus Fankreisen „brutalste Folge“ der Hörspielreihe „TKKG“, aus den Lautsprechern des Autoradios. Mehr oder weniger gebannt lauschten die sieben Insassen des VW-Transporters dem Fortgang der Geschichte. Felix döste. Maximilian blickte gelangweilt aus dem Fenster. Alexa bot noch einen Kaugummi an. Miriam fühlte sich eigentlich schon zu alt für diese Kindergeschichten.

Der Autor nicht. Verdammt unheimlich: Hatte sich Jörgs Stiefvater tatsächlich klonen lassen? Wurde er von seinem ehemaligen Kompagnon mit Hilfe modernster Computertechnik ferngesteuert? Wer war das geheimnisvolle Mädchen am Fenster der unheimlichen Fabrik? Fragen, die vorerst ungeklärt bleiben sollten.

Denn plötzlich zog im Wageninneren ein ekelhafter Gestank auf. Die Klimaanlage war kaputt, okay, deswegen war es heiß. Aber was bedeutete der Geruch aus dem Jenseits? Ein Windel-Desaster? Ratlos steuerte der Vater den Wagen auf die Standspur und hielt an. Kein Lämpchen auf dem Armaturenbrett gab Auskunft. Auskunft gab ein weiterer Autofahrer, der knapp hinter dem VW zum Stehen gekommen war und nun an die Scheibe auf der Beifahrerseite klopfte: „Sie sollten besser aussteigen. Das Auto brennt.“

Normalerweise dauert eine Fahrt von Wien nach München ungefähr fünf Stunden, wenn man ausgiebig Pausen macht, etwas länger. Erzählen sie einem. Das ist natürlich gelogen. Reisen dauern immer mindestens zehn Stunden. Mal fallen Bäume auf Gleise und Straßen. Mal hält ein bewaffneter Lebensmüder den Hamburger Hauptbahnhof in Schach, und der Zug startet erst mit drei Stunden Verspätung. Und auf der Rückfahrt brennt dann eben das Auto.

Das Auto brennt. Das Auto brennt? Das Auto kann doch gar nicht brennen. Doch, das Auto brennt. Na gut, wenn das Auto brennt, dann verlassen wir das Auto eben. Geordneter Rückzug. Freies Feld.

Plötzlich ist alles voller hilfsbereiter Menschen. Sofort ist die A1 Richtung Salzburg komplett verstopft. Junge Männer springen aus roten Wagen und bringen ihre Feuerlöscher zum Einsatz. Das Auto qualmt. Es brennt weiter. Junge Frauen in Jeansjacken stehen mitten auf der Straße und zünden sich erst mal eine Marlboro an. Alle möglichen Leute in Trainingsanzügen bevölkern die Autobahn und rauchen erst mal eine Marlboro. Weitere Helden halten, können jedoch nicht helfen, stecken sich erst mal eine Marlboro an. Das Auto brennt.

Der Vater ist verwirrt: „Das Auto war erst zwei Jahre alt. Nie wieder kaufe ich einen VW.“ Jemand hat ein Handy und ruft die Feuerwehr an. Die Mutter ist verwirrt. Eigentlich raucht sie nicht mehr. Jetzt will sie eine.

Felix, der Fünfjährige, ist fasziniert. Vor einer Stunde hat er sich noch auf einem Feuerwehrfest tolle Feuerwehrautos angesehen. Jetzt sitzt er auf den Schultern seines Cousins und sieht ein echtes brennendes Auto, das ist toller. Und er sieht noch mehr: Auf der Gegenfahrbahn hat sich der Verkehr erheblich verlangsamt. Der Fahrer eines silbergrauen BMW ist offenbar so angetan vom brennenden Auto gegenüber, dass er seinen Wagen mit Schwung in den Graben setzt. Nichts passiert. Minutenlang steht er da, sitzt hinter dem Steuer, starrt. Und fährt dann weiter.

Das Gepäck retten? Wahrscheinlich hätte man das Gepäck retten können. Das Auto brannte vom Motor her weg, und das Gepäck war hinten im Kofferraum verstaut. Das Gepäck retten? Benzin tropfte auf die Straße. Explodieren brennende Autos? „Verbrannt, weil er das Gepäck retten wollte“ – keine schöne Schlagzeile. Das Gepäck retten? Lieber nicht.

Wenn man von sieben Insassen der einzige ist, der keinen feuerfesten Koffer hat, kann man nur dabei zusehen, wie zwei Anzüge, vier Hemden, eine Jacke und ein Auto verbrennen. Und das ungehörte Ende der nach Angaben aus Fankreisen „brutalsten Folge“ der Hörspielreihe TKKG. STEFAN KUZMANY

Hinweis:Das Auto brennt. Das Auto brennt? Das kann doch gar nicht brennen. Doch, das Auto brennt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen