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: WLADIMIR KAMINER über einen Übersetzer der Extraklasse

Mein Freund, der Dolmetscher

Sergej Gladkich rief mich an und war stinksauer. Es ging um meinen intershop-Text „Wassil Bikau im Klub Dialog“ – in dem ich die Situation, zumindest was seine Rolle betraf, eindeutig übertrieben hatte. „Wie konnten Sie nur so etwas über mich verbreiten! Das ist alles gelogen! Ich bin doch nicht mit dem Mikrofon aufs Klo gegangen!“ Ich wurde rot und fragte mich den ganzen Abend: „Wladimir, wie konnte es nur passieren, dass du derart schwärmerisch eine Geschichte überspitzt und dabei anständige Leute beleidigt hast? Zudem noch welche, die es überhaupt nicht verdient haben.

Denn Sergej Gladkich ist ein Übersetzer der Extraklasse – viele russische Autoren haben nur durch seine Bemühungen den Weg zum Bücherregal gefunden. Er hat das fast Unmögliche geschafft: Chlebnikow und andere Helden der Lautpoesie aus den Dreißigerjahren dem deutschen Publikum zugänglich gemacht zu haben. Die Arbeit eines Übersetzers ist eine undankbare Aufgabe. Besonders die zeitgenössischen Autoren experimentieren mit der Sprache, was das Zeug hält. Und der Übersetzer muss das Ganze dann ausbaden.

Ich kenne Sergej Gladkich schon seit sieben Jahren. Damals arbeitete ich in einem Verein, der sich Theaterbande e. V. nannte und ein Festival in Berlin namens „Theater nach der Diktatur“ organisierte. Sieben Theatergruppen aus Osteuropa sollten nach Berlin kommen: Die Mitglieder der Theaterbande reisten dazu nach Russland, Polen, in die Ukraine und nach Lettland und suchten dort nach neuen interessanten Stücken. Sergej Gladkich war unser Übersetzer. Er schaffte es, all diese unterschiedlichen Stoffe fast ohne Vorbereitung dem Publikum hier verständlich zu machen. Das Festival fand im Kesselhaus der Kulturbrauerei statt. Jede Nacht saßen die „Theater nach der Diktatur“-Mitwirkenden in der Brauerei-Kantine und diskutierten mit den Zuschauern. Vor lauter Begeisterung ging niemand nach Hause, so dass die eingeladenen Schauspieler fast eine ganze Woche in der Kulturbrauerei verbrachten.

Zuletzt sollte noch eine Gruppe aus Sankt Petersburg auftreten, die ohne Sprache arbeitet, dafür aber viel und gern mit Pyrotechnik – was für das Theater nach der Diktatur schon fast symptomatisch wurde. Es war also ein großes Feuerwerk geplant. Wo genau die Sprengladung versteckt war, wusste nur eine Schauspielerin, die gleichzeitig als Hauptpyrotechnikerin fungierte.

Nun verliebte sich aber ein Mann aus einer anderen Theatergruppe in diese Frau und verlor vollkommen den Kopf. In der Nacht gingen sie zusammen ins Kesselhaus, unter dem Vorwand, die Ladung zur Sicherheit noch einmal überprüfen zu müssen. Um sechs Uhr früh brach im Kesselhaus ein Feuer aus, die Feuerwehrleute pumpten zweihunderttausend Liter Wasser in die Halle. Das Wasser zerstörte den Holzboden – das Haus musste komplett geräumt werden.

Zur Verwunderung aller Beteiligten stellte sich plötzlich heraus, dass die Theaterbande e. V. nicht versichert war – und für den Unfall selbst nicht aufkommen konnte. Der Verein löste sich schnell auf: Der eine flog nach Kuba, der andere fuhr nach Greifswald, ein weiteres Mitglied eröffnete kurz darauf eine Kneipe in Prenzlauer Berg, und so weiter.

Die eingeladenen Theatergruppen hingen noch eine Weile in Berlin rum, dann verwischten sich ihre Spuren. Später traf ich Sergej Gladkich auf verschiedenen Theater- und Literaturveranstaltungen wieder: immer im grauen Anzug, höflich und konzentriert. Auch an dem Abend, als Wassil Bikau im Klub „Dialog e. V.“ auftrat, war Sergej – wie immer – fit, er benahm sich korrekt und ging nicht mit dem Mikrofon aufs Klo, das möchte ich hier noch mal betonen.