ZUM ZWEITEN MAL GELOBEN REKRUTEN AM TAG DES WIDERSTANDES
: Widerspruch der Symbole

Zum zweiten Mal wird heute der Gedenktag des deutschen Widerstandes am 20. Juli gemeinsam mit einem Gelöbnis von Bundeswehrrekruten begangen. Abgehalten wird die Feier am Hinrichtungsort der Widerständler, dem Bendlerblock in Berlin, gleichzeitig ehemaliger Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht. Dies entspricht den neuen Leitlinien von Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der schon bald nach seinem Amtsantritt verfügt hat, dass für die Bundeswehr der Widerstand gegen Hitler – und zwar in seiner gesamten politischen Breite – traditionsstiftend sein solle. Dies ist ein enormer Fortschritt, gemessen daran, wie lange die Bundeswehr benötigte, um sich mit dem militärischen Widerstand und also mit dem Bruch des militärischen Gefolgschaftseides auszusöhnen.

Dennoch ist der symbolische Zusammenhang zwischen Gelöbnis und Gedenken des Widerstands alles andere als zwingend. Dies zeigt sich an einer Vielzahl von Brüchen. Zunächst: Verteidigungsminister Scharping und Kanzler Schröder scheinen diesen Tag als einen zweiten, heimlichen Nationalfeiertag etablieren zu wollen – neben dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. Doch die Nation feiert nicht; stattdessen wird sie ausgeschlossen. 1.000 Polizisten werden den Bendlerblock abschirmen, nachdem im letzten Jahr zwanzig teilweise halb nackte Gegendemonstranten, mit Schirmen und Charme bewaffnet, das Zeremoniell in ein Happening verwandelten. Sie entblößten dabei nicht nur sich selbst – sondern auch das Gelöbnis in seiner leeren Würde.

Gerhard Schröder, der wie immer treffsicher den Ton an seine Umgebung anzupassen wusste – hier dem Offizierskasino –, fiel dazu nichts Besseres ein, als „dass es nicht immer die Mädchen mit den besten Figuren sind, die sich ausziehen“. Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen und letztes Jahr ebenfalls auf der Ehrentribüne, echauffierte sich sogar und fand die Aktionen „voll daneben“.

Damit wiederholte sie symbolisch treffend einen weiteren symbolischen Bruch in dieser merkwürdigen Feier. So wie beim Gedenken des 20. Juli stets die Erinnerung an den kommunistischen Widerstand abgespaltet wurde, so diskreditierte Beer nun den antimilitaristischen des eigenen Umfeldes. Und während das Erinnern an den 20. Juli für demokratische Toleranz stehen soll, erkennt dieses „voll daneben“ andere Positionen nicht mehr an und disqualifiziert sie als peinliches und kindisches Benehmen.

Die heutige Feier weist aber auch auf ein grundsätzliches Problem der säkularen Demokratie hin: Inwieweit verträgt sich diese mit der Tradition und dem Ritual des Gelöbnisses? Wie dringend die Frage ist, zeigt sich schon an der atavistischen Inszenierung: Unter Trommelwirbel marschieren die Rekruten zum Gelöbnis ein, und die Ehrengardisten präsentieren ihre alten Traditionskarabiner, die noch aus Wehrmachtszeiten stammen (mit Gewehren gleicher Bauart hat man wahrscheinlich exakt an dieser Stelle Stauffenberg und die anderen füsiliert). Danach erfolgt ein merkwürdiger Fahnenzauber, wobei das Handauflegen eine Rolle spielt.

Dieses Ritual wirkt nicht zufällig so fremd: Es stammt aus vordemokratischen Zeiten. Und das ist nicht ohne Logik. Denn das Gelöbnis ist im Kern ein Eid des Gehorsams. Dies lässt sich einfach dadurch verändern, dass man diesen Eid nun ausgerechnet in einer Gedenkstätte für den deutschen Widerstand abhält.

Wer neue Inhalte will, eine neue Bundeswehr, kommt nicht darum herum, über neue Formen nachzudenken. Die jetzige Konstellation vom Gelöbnis der Treue und zur Verpflichtung zum Widerstand ist jedenfalls widersprüchlich und widersinnig. Das ist ungefähr so, als würde man seinen Kindern das Versprechen abverlangen, gefälligst unartig zu sein. Kinderpsychologen würden bei dieser Art schizophrener Rede alsbald Borderline-Störungen diagnostizieren.

Ein gängiger Vorschlag ist nun, die Gelöbnisse entweder ganz abzuschaffen oder nur in der Kaserne stattfinden zu lassen. Doch drückt man sich damit ebenso vor der Frage, wie eine demokratische Gesellschaft einen ihrer Bürger dazu verpflichten kann, eventuell sein Leben für sie zu lassen.

TOMAS FITZEL

Der Autor ist freier Journalist in Berlin