eine nacht in havanna von WIGLAF DROSTE
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Ich war ein grüner Junge von 24 und konnte mein Glück nicht fassen. Statt deutschem Tannenbaum-Terror ausgesetzt zu sein, durfte ich in der „Bodeguita del Medio“ in Havanna stehen und Mojito trinken. Es war der 25. Dezember 1985. Am Abend zuvor war ich gelandet, und ich war benommen von dieser Stadt, in der die Mythen und das Leben gleichermaßen präsent sind. Euphorie durchströmte mich. In Deutschland hatten sie Heiligabend, ich war in Havanna. Wenn man zwischen seiner Verwandtschaft und seinem Privatleben einen dicken Trennungsstrich zieht, gibt man dem guten Leben eine echte Chance.

Der Mojito schmeckte aufregend. Eine junge Kubanerin sah zu mir herüber. Ihr Blick ließ mein Herz rasen. Ich war sicher, noch nie eine so schöne Frau gesehen zu haben. Sie musste ein Engel sein – ich war ein Leichtgewicht mit dusseligem Zeug im Kopf. Sie sah mich an, ich sah sie an, so ging es eine ganze Weile. Ihre Freundinnen kuckten auch und kicherten. Sie unternahm nichts, ich unternahm nichts, aber wir hörten nicht auf, uns schüchterne Blicke zuzuwerfen. Innerlich war ich rot wie ein Fliewatüt.

Irgendwann verließ sie mit ihren Freundinnen den Laden. Sie blieb vor mir stehen, sagte etwas Freundliches über meine blauen Augen und strich mir sacht über die Wange. Beinahe wäre ich in Ohnmacht gefallen, hielt mich aber auf den Beinen. Selbst wenn ich der Sprache mächtig gewesen wäre, ich hätte nichts herausgebracht.

Ich stand da mit leerem Kopf, übervollem Herzen und zitternden Beinen. Ein junger Kubaner gesellte sich zu mir. Er sprach etwas Französisch, und ich war dankbar für die Ablenkung. Wir luden uns gegenseitig zum Trinken ein, er schwärmte für Castro und Che Guevara, und vor lauter Begeisterung, uns überhaupt verständigen zu können, radebrechten und gestikulierten wir wie wild. Als das Lokal schloss, wollte er noch zum Meer und leierte sogar eine Flasche Rum aus dem Barmann heraus.

Das Meer war kaum erreicht, als ich bereits seine Zunge im Hals hatte. Möglicherweise hatte er meine Schüchternheit dem Mädchen gegenüber falsch interpretiert, aber das war mir egal. Der Kerl sollte seine Zunge für sich behalten. Das tat er mit meiner Hilfe auch, presste stattdessen aber etwas hartnäckig Klopfendes an mich. Ich untersagte ihm auch das, und nach einigen weiteren Bemühungen, die ich entschieden abschlägig beschied, war er friedlich. Beim Versuch, mich betrunken zu machen, hatte er sich selbst genatzt. Nun wurde ihm schlecht, klatschend erbrach er sich und wurde taumelig. Ich war zwar genervt, nahm ihm seine Übergriffe aber nicht weiter übel, warf ihn mir über die Schulter und trug ihn zurück in die Stadt. Ab und zu lud ich ihn ab, um zu verschnaufen, er gab die weitere Richtung an, und endlich konnte ich ihn an eine Hauswand lehnen und mich verabschieden.

Heute ist in Havanna nichts mehr, wie es war. Aber Weihnachten 1985 habe ich dort die wichtigsten Dinge des Lebens kennen gelernt: die große, romantische Liebe und die gutmütige, altruistische Freundschaft, die nichts nachträgt.