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Emil und die Exekutive

■ Eine erfahrungsgesättigte Polemik. Betroffene von der neuen Kampfhundverordnung ziehen eine erste Bilanz

Ein paar Wochen ist es jetzt her, dass unser Mischlingsrüde Emil behördlicherseits für einen Zwanzigmarkschein in den Stand eines amtlich anerkannten Kampfhundes erhoben wurde. Auch „niedrigprozentige“ Mischlinge – „und wenn sie nur einen Tropfen Kampfhundblut haben“ – seien potenziell unberechenbar. Der Mitarbeiter im Stadtamt, den ich am Montag, den 3. Juli, anrufe, vergisst nicht hinzuzufügen, dass diese Lehre von der blutgebundenen Vererbung wissenschaftlich erwiesen sei.

Ein Stadtamt-Mann in der Defensive

Der Mann ist sichtlich in der Defensive. Ihn – an diesem Tag Bremens wohl gefragteste Nummer – rufen ja nicht nur mehr oder minder friedliche Einfamilienhausbesitzer an, sondern auch handfeste Loddels aus den Waller Hafenbars und hochvermögende Bürger aus Oberneuland, die ihre argentinische Dogge zu Unrecht mit dem Pöbel in einen Topf geworfen sehen. Ihm, dem ersten für den Schulte-Erlass abgestellten Mitarbeiter im Stadtamt, gibt dies einen Hauch von Pathos und ein Timbre empörter Unschuld: „Wenn Sie so etwas zu mir sagen, dann lege ich gleich wieder auf!“. – Was habe ich gesagt: „Ja, spinnt ihr denn jetzt alle!“, habe ich gesagt ...

Inzwischen sind aus dem einen Mitarbeiter viele geworden. Auch die Hotline-Nummern im Stadtamt vermehren sich wie Karnickel. Das telefonische Weiterliften der Beschwerdeführer vom Stadtamt zum Innenressort und zurück verläuft reibungslos. Wie in einem Betatest-Programm durchfliegen Informations- und Wissbegierige die Loops und Schleifen in der improvisatorischen Weite des Behördenraums. Die Vernunft hängt grüngesichtig über der Reling.

Der Weisheit letzter Schluss endet überall mit den Sätzen: „Ja, dann gibts da wohl nichts. Ist bei uns hier jedenfalls nicht vorgesehen. Ich gebe Ihnen mal eine Nummer beim Stadtamt/Innenressort (Unzutreffendes streichen)“. Inzwischen allerdings färbt ein Beiklang von Ironie in Hinsicht auf die Weisheit der Verordner immer deutlicher alle Äußerungen der Mitarbeiter. Denn sie selber geben zu, dass diejenigen, die sie auf der Liste und damit auf dem Kieker haben, bei ihnen gar nicht auftauchen, um ihren Hund anzumelden.

Schuld haben die Pitbulls der Medienzunft

Der Unsinn, den sie stattdessen anrichten müssen, wächst dagegen mit jedem Tag. Beispielsweise geht Emil seit einigen Monaten zur Hundeschule. Immer sonntags veranstaltet Bremens größter Hundeverband auf einem öffentlichen Parkplatz in Habenhausen diese Gebrauchshundausbildung. Eleve Emil bewegt sich mittenmang unter anderen Hunden völlig ohne Probleme. Im August soll die Prüfung sein. Dazu aber müsste unser Hund ohne Leine und ohne Maulkorb die verlangten Gehorsamsübungen absolvieren. In Zeiten tiefgelegter Kampfhundverordnungen, mit deren Hilfe Senator Schulte endlich als richtig harter Hund in Bortschellers übergroße Fußstapfen treten will, gibt es aber keine Ausnahmegenehmigungen, noch nicht einmal für eine Stunde. Nach drei Telefonschleifen im behördeninternen Rundreiseprogramm ist klar: Es wird für nichts und niemanden Extras geben. Allenfalls gibts so etwas , so das On-dit betroffener Hundebesitzer auf dem Flur des Stadtamtes, für einen CDU-nahen Wirtschaftsführer mit Bordeaux-Dogge. Denn dieses Tierchen konnte vor der Verabschiedung der Hundeverordnung ganz still und leise aus der Liste gefährlicher Rassen entlaufen.

Emil aber bleibt jetzt dumm. Und in den Augen der Öffentlichkeit gefährlich. Alle Mitglieder dieser Hunderassen seien „tickende Zeitbomben“, sagt der Revierführer der Polizei in Gröpelingen. Keinen Ausdruck muss man zur Zeit so oft hören, wie den von den tickenden Zeitbomben. Ende Juni sprang diese Variante der Spinne in der Yucca-Palme aus der Überschrift der BILD direkt ins kollektive Unbewusste. Auch deshalb wird es in Bremen keinen Wesenstest geben, keine Halterprüfung, kein Garnix. Und in naher Zukunft auch keine Hunde mehr aus diesen gutmütigen, stoischen und kinderfreundlichen Rassen.

Die Pitbulls der Medienzunft haben den Politikern ihre Forderungen in die Feder diktiert. Dann wurden sie von den devoten Parlamentariern aller Parteien in Jawoll-Haltung abgenickt. Das braune Näschen tief im Allerwertesten des Boulevardjournalismus vergraben, meinen unsere Volksvertreter, endlich der Realität auf der Spur zu sein.

Die Fakten sehen leider anders aus. Als Hundebesitzer liegt man Nacht für Nacht wach und fasst es nicht: Ein über Jahre als hochbezahlter, aggressiver Killer für lukrative Hundekämpfe ausgebildeter Hund hat in Wilhelmsburg ein Kind gerissen. Erstaunlich ist für mich nur, dass dies so lange gedauert hat. Hamburgs Behörden jedenfalls lagen jahrelang im Tiefschlaf. Verfügungen gegen den Besitzer wurden nicht zugestellt, weil dessen Wohnsitz ja „nicht gemeldet“ gewesen sei. Während die Behörden durch kollektive Arbeitsverweigerung glänzten, durfte Ibrahim K. seinen Hund mit Anabolika fit spritzen, ihm auf öffentlichen Schulhöfen und Spielplätzen Autoreifen und Ketten um den Hals hängen und mit ihm Wilhelmsburgs Straßen auf und ab paradieren, wo er vor dem kleinen Volkan schon drei Hunde massakrierte. Aber gemeldet war er nicht! Ein kompletterer Fall von Behördenversagen ist kaum zu denken.

Unbekannte Menschen spucken neuerdings vor uns aus

Jetzt aber muss es „die Rasse“ gewesen sein. Dabei spricht selbst diese Kategorie aus Deutschlands dunkelster Vergangenheit, wenn man sie einmal ernst nimmt, eine deutlich andere Sprache: Bei der langfristig angelegten nordrhein-westfälischen Untersuchung über neun Jahre Hundevorkommnisse, ebenso wie bei der umfangreichen Analyse des Deutschen Städtetages in 97 Städten führt der deutsche Schäferhund mit weitem Abstand vor dem Rottweiler und der Dogge jede Beißstatistik an. Und auch die Todesstatistik. Denn natürlich ist es so, dass Menschen durch Hunde sterben. Oft im Familienverband des Besitzers, in etwa der Hälfte der Fälle handelt es sich um Kinder. Das steht dann üblicherweise als Meldung unter Lokales.

Jetzt aber entleert sich der volle Hasskübel über Emil und mich. Unbekannte Menschen spucken vor mir aus. „Sie sollte man mit Ihrem Hund vergasen!“ brüllt mich ein rotgesichtiger Rentner vom Fahrrad aus an. Denn er hat in Emil den Kampfhund am Maulkorb erkannt. Und in mir das Schwein an Emil.

Es gehe doch nur um „das Bisschen Maulkorb“, sagen gutmeinende Zeitgenossen. Kaufen wir Emil also einen Maulkorb. Margret, meine Frau, kehrt am 3. Juli gleich mit zwei Exemplaren zurück. Der eine – Modell Polizei-Hundestaffel – ist für den Stichtag 4. Juli bestimmt, der andere kommt in unser Kuriositätenkabinett, denn Deutschlands Industrie hat schnell reagiert: Für unschlagbare DM 12,95 incl. MwSt. gibts das Modell „Placebo“, bestehend aus einer dünnen Nylontülle mit verstellbarem Plastikknipsriemen, das jeder „selbstbewusste“ Hund mit einem einzigen Hieb der Vordertatze ins Recycling befördert.

Am Dienstag morgen erhält Emil dann erstmals seine Ledermaske und wirkt damit ähnlich wie der letzte Freund des Samurai. Allerdings nur einen verdutzten Moment lang. Dann beginnt der wütende, später erbarmenswürdige Kampf mit dem Maulkorb.

Auf der Straße fühlt sich der Hund an, als zöge ich einen vollbeladenen Einkaufswagen mit defekten Rädern hinter mir her. Für ihn ist jetzt kein Hecheln mehr möglich, kein Schnüffeln, kein Lecken, kein Greifen, keine angemessene Reaktion auf Artgenossen. Die Vorderpfoten versuchen ständig, den Korb herunterzureißen, er stemmt die Hinterbeine in die Erde, Blut rinnt aus dem verletzten und zerkratzten Zahnfleisch, die Nase ist von Striemen übersät. Wir drei, der Hund, meine Frau Margret und ich, wir bieten ein überaus prächtiges Bild. „Ob die überhaupt wissen, was die anrichten“, sagt die Nachbarin mit den zwei Collies, als sich der Hund bei unserer Begegnung wimmernd zwischen meine Beine drängt.

Mit Maulkorb sieht er aus wie der letzte Freund des Samurai

Ich schwöre: Drei Tage habe ich um die Erfüllung des Gesetzes gekämpft wie es der hochweise Senat befahl. Als Emil aussah, als wäre er mit der Schnauze in eine Kaffeemühle geraten, habe ich den Kampf eingestellt. Ich werde – Verordnung hin, Verordnung her! – nicht zum Tierquäler werden, und ich will meinen Freund Emil nicht verlieren.

Ob ich damals eigentlich wahnsinnig gewesen sei, mir einen Loddel-Hund, so eine ästhetische Katastrophe ins Haus zu holen, fragen mich wieder andere. Sie zeigen damit nur, dass sie Emil nie gesehen haben. Sondern dass sie nur die einschlägigen Bilder von den Anabolika-Hunden der „voll krassen“ internationalen Jungmann-Szene im Kopf haben. Kaum einem ist bewusst, wie weit verbreitet das sogenannte „Kampfhundproblem“ genetisch ist. Allein in Berlin, schätzt man, gibt es 10.000 Hunde dieser Rassen. Von den Mischlingen ganz zu schweigen. Es ist so, als wolle man heute, mehr als 50 Jahre nach Ende des Krieges, all jene Deutschen ausfindig machen, in deren Adern russisches oder amerikanisches Blut fließt.

Dabei haben wir Emil nur aus dem Tierheim retten wollen

Emil ist ein 25prozentiger Mischling – so viel ich weiß. Das ist die genaueste Definition, die ich über seine Herkunft geben kann. Irgendwie passen Emil und die Fragebögen der Behörden nämlich nicht zusammen. Wir haben ihn nach neun Wochen aus einem Korb im Wohnzimmer eines Einfamilienhauses in Habenhausen zu uns genommen: Die Mutter sei eine 50prozentige Bullterriermischlingshündin, sagte das Tierheim, das den Haltern die trächtige Hündin vermittelt hat, der Vater sei unbekannt. 1998, als alle Welt an die Bevölkerung appellierte, doch auch diese Tiere nicht zu vergessen, haben wir uns für Emil entschieden. Heute haben wir einen feinen Hund, auf den wir stolz sind.

Die neue Hundeverordnung stürzt uns jetzt in ein echtes Dilemma. Die vorgeschriebene Lösung „Maulkorb“ funktioniert nicht. Also verhalten wir uns illegal, denn wir können ja mit dem Hund schlecht im Keller Gassi gehen. Wir müssten jetzt, als unfähige Halter, den Hund abgeben, zum Beispiel an ein Tierheim, das ihn bekanntlich aber nicht aufnimmt. Bliebe die Euthanasie, was auch nicht möglich ist, da ein Tierarzt ein freundliches, gutmütiges Tier wie unseren Emil, der niemals durch Aggressivität auffallen wird, gar nicht töten darf, ohne gegen das Tierschutzgesetz zu verstoßen. Selbst zu Hause oder draußen in der Illegalität der einsamen Gegenden des niedersächsischen Umlands, wo wir uns mit unserem Hund noch halbwegs normal verhalten können, durchrattern unsere Gedanken ständig diesen Kreisverkehr.

Nach den gemachten Erfahrungen lautet unser Schluss: Die Verordnung über das Halten gefährlicher Hunde in Bremen ist eine untaugliche populistische Scheinlösung für ein soziales Problem, das Politiker und Behörden jahrelang mehr oder minder bewusst verschnarcht haben. Die Verordnung führt sich, selbst nach ihren eigenen Kriterien, ad absurdum, weil sie die gefährlichsten „Rassen“ und die meisten Aggressionstaten von Hunden eben nicht sanktioniert. Statt Hundekämpfe zu unterbinden, bekämpft sie Hunde. Sie setzt systematisch am falschen Ende der Leine an, verwechselt ständig Eigenschaften, die aus Zucht und Haltung folgen, mit vererbten Merkmalen, und treibt verantwortungsbewusste Halter freundlicher Hunde in die Illegalität.

Deshalb werden wir jetzt zusammen mit anderen gegen diese Verordnung klagen. Um durchzusetzen, dass zumindest ein Wesens- und Haltertest („Hundeführerschein“) möglich ist, der unserem Hund den Maulkorb erspart. Es wäre schön, wenn Bremen hier dem niedersächsischen Beispiel folgt. Wenn das Land schon nicht die nordrhein-westfälische Verordnung übernimmt, die Leinenzwang, Halterprüfung und Wesenstest für alle großen Hunde vorsieht. Was die einzig konsequente Lösung ist.

Dr. Klaus Jarchow

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