Vom Plebiszit getrieben

Am 24. September stimmt die Schweizer Bevölkerung über eine große Energiereform ab: Konventionelle Energie soll durch Steuern teurer, regenerative Energie subventioniert werden

aus Basel PIETER POLDERVAART

Ein Café Creme ist in der Schweiz das Maß aller Dinge. So wird denn auch die Energie-Förderabgabe, die das Parlament in monatelangem Fingerhakeln als Kompromiss verabschiedet hat, populär in Café Creme berechnet: Zwei Tassen Kaffee mit Sahne monatlich wird sie eine Familie umgerechnet kosten. Noch ist die Reform noch nicht durch – am 24. September findet das entscheidende Plebiszit statt.

Die Steuer – den Ausdruck vermeiden die BefürworterInnen tunlichst – von umgerechnet rund 0,4 Pfennige pro Kilowattstunde (kWh) wird auf alle nicht erneuerbare Energieträger erhoben. An die 600 Millionen Mark jährlich erwartet die Regierung vom Förderprogramm.

Dass eine neue Abgabe überhaupt zustande kam, war angesichts der erdrückenden Mehrheitsverhältnisse in beiden Parlamentskammern zugunsten der Konservativen schon eine kleine Sensation. Mit einem cleveren Coup sollen nun nicht nur die klassischen erneuerbaren Energiegträger vom Steuerertrag profitieren, sondern zu einem Viertel auch die Wasserwerke. Das ist ein fetter Köder für jene Branche und ihre politische Vertretung, die mit 57,4 Prozent Produktionsanteil die bedeutendsten Stromlieferanten der Schweiz sind und deshalb den Schimpfnamen „Alpen-OPEC“ tragen. Manch erzkonservativer Standesherr aus dem „Wasserschloss Schweiz“ mutierte vom Todfeind jeder neuen Steuer zum dankbaren Empfänger der großzügigen Subvention.

Die Wirtschaft freilich ist bei der Förderabgabe gespalten. Der Gewerbeverband und der Schweizer Dachverband der Großindustrie (Vorort) verbreiten schon seit Wochen mit Inseraten und Plakaten das Schreckbild explodierender Energiepreise. Verschiedene Verbände lassen sich aber von ihren Polit-Oberen nicht dreinreden und machen sich für die Fördergelder stark. Der Verband für Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik etwa erwartet für seine Mitglieder „4.000 neue Arbeitsplätze und Lehrstellen“. Auch Peter Holinger, Zentralpräsident des Schweizerischen Spenglermeister- und Installateur-Verbands, liebäugelt mit einer grünen Energiezukunft: „Wer Wärme dämmt, spart Energie und belebt die Binnenwirtschaft.“ Holinger politisiert in der konservativen Schweizerischen Volkspartei von Christoph Blocher. Auch Fensterbauer, Isolationsfirmen und Fassadenkonstrukteure wittern Morgenluft, denn ein weiteres Viertel des Geldes fließt in die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden und Einrichtungen.

Selbstredend stehen auch die Anbieter von erneuerbaren Energieträgern wie Photovoltaik, Holz und Biomasse hinter der neuen Abgabe; das dritte Viertel fließt in ihre Schatullen. Über den Rest kann der Bundesrat im Sinne der Zweckbindung entscheiden. Insgesamt löst jeder Franken Förderabgabe eine fünf- bis zehnfach so hohe Investition aus.

Die auf zehn Jahre beschränkte und um fünf Jahre verlängerbare Förderabgabe hat einen großen Bruder, die so genannte Grundnorm. Der neue Verfassungsartikel soll nicht erneuerbare Energie mit maximal 2,4 Pfennigen pro kWh belasten. 3,75 Milliarden Mark kommen so jährlich zusammen, die vollständig an Wirtschaft und Bevölkerung zurückfließen werden, indem der Staat die Abzüge für die Sozialversicherungen um insgesamt ein Prozent reduziert. „Energie statt Arbeit besteuern“, lautet die prägnante Losung der Anhängerschaft dieser Lenkungsabgabe. Neben einem Investitionsschub in rationelle und zukunftsgerichtete Energieformen erhofft sich die Regierung, den CO2-Ausstoß bis im Jahr 2010 um zehn Prozent zu senken.

Förder- wie Lenkungsabgabe haben Bundesrat und Parlament nicht aus freien Stücken verabschiedet. Anlass waren zwei Volksbegehren, die noch höhere Abgaben vorsahen. Im Fall der Lenkungsabgabe zogen die InitiantInnen ihren Vorstoß zurück. Die so genannte Solarinitiative – sie verlangt eine Förderabgabe von 0,6 Pfennig während einer Dauer von 20 Jahren – kommt hingegen auch zum Plebiszit.

Erstaunlich ruhig ist es in der jetzt anlaufenden Abstimmungskampagne um die Atomenergie. Der Grund liegt darin, dass in der Schweiz ein zehnjähriges Moratorium für den AKW-Neubau gilt. Zwei weitere Initiativen kommen Ende 2002 vors Volk und sind geeignet, der eidgenössischen Strahlenindustrie ein definitives Begräbnis zu bereiten.

„Strom ohne Atom“ fordert den schrittweisen Ausstieg innerhalb von zehn Jahren und den Verzicht auf die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe. „Moratorium plus“ will einen Bewilligungsstopp für weitere zehn Jahre.