Hafencity: Nur eine unter vielen

Rund um die Erde entwickeln Städte alte Hafen- und Industrieflächen zu modernen Stadtvierteln. Meistens kostet das viel Geld  ■ Von Gernot Knödler

Die Hafencity ist ein Klacks. Verglichen mit den Docklands in London (2224 Hektar) sind ihre 155 Hektar eine bescheidene Zahl, erst recht gegenüber Hamburgs Partnerstadt Shanghai: Innerhalb von 40 Jahren soll dort auf 54.000 Hektar ein neuer Stadtteil, so groß wie die alte Stadt, gebaut werden. Wie andere Städte mit solchen Herausforderungen umgegangen sind, war Thema einer Tagung der TU Harburg Ende der vergangenen Woche. Dabei wurde deutlich: Obwohl im internationalen Vergleich nur von mittlerer Größe, ist die Hafencity ein sehr ehrgeiziges Projekt. Denn die Stadt muss es alleine schultern und versucht auch noch, damit eine halbe Milliarde Mark zu verdienen.

Die Liste der Projekte ist lang: In der Bucht von Amsterdam ist ein Archipel von einem halben Dutzend künstlicher Inseln geschaffen worden, auf dem jetzt 18.000 Wohnungen vor allem für die Mittelklasse entstehen sollen. Lissabon nutzte die Weltausstellung „Expo Atlantico“ vor zwei Jahren, um sanierungsbedürftige Altstadtquartiere aufzuwerten. Yokohama versucht, auf einem ehemaligen Werftgelände sowie auf Neuland ein neues Stadtzentrum zu errichten, mit dem es der benachbarten Hauptstadt Tokio Paroli bieten kann.

In allen Fällen geht es darum, den wirtschaftlichen Strukturwandel zu bewältigen. Die Grundstücke niedergehender Wirtschaftszweige werden neu verwertert und dabei mit Wohnraum und stark wertschöpfenden Arbeitsplätzen besetzt: Hier können Zentralen der globalen Ökonomie entstehen, Software-Firmen und Medienbetriebe sich niederlassen und die nicht mehr ganz so neuen synthetischen Unterhaltungswelten Platz finden.

Das Projekt, das dem Hamburger Vorhaben am meisten ähnelt, ist der „Kop van Zuid“ in Rotterdam. Die 600.000-Einwohner-Stadt an Rhein und Maas verfügt über den bedeutendsten europäischen Seehafen. Über die sechzig Kilometer von der Stadt bis zur Nordsee liegt eine Mole, eine Raffinerie neben der anderen. Wie die Stadtplanerin Ingrid Lübke von der Gesamthochschule Kassel darstellte, wandert der Hafen wie in Hamburg seewärts. Das eigentliche Rotterdamer Stadtgebiet hat er bereits verlassen.

Letzter Schritt ist die Umwandlung des Kop van Zuid, eines 125 Hektar großen Hafenareals auf dem anderen Ufer der Maas, direkt gegenüber des Stadtzentrums. Wie in Hamburg soll die Abwanderung von Menschen ins Umland gestoppt werden. Gleichzeitig galt es, die Unterprivilegierung des südlichen Maas-Ufers durch eine Anbindung ans Nord-Ufer und eine Verbindung der südlichen Stadtteile untereinander aufzuheben.

Die Hälfte der geplanten 5000 Wohnungen ist inzwischen gebaut, wobei der Anteil an Sozialwohnungen etwas unter den zunächst angestrebten 50 Prozent liegt. Ein auf einer isolierten Halbinsel geplantes Geschäftsviertel liegt auf Eis, bis die Nachfrage nach Büro-Immobilien wieder anzieht. Wie in Hamburg gliederten die Rotterdamer PlanerInnen das Gelände in Quartiere von jeweils eigenem Charakter; sie nutzten einzelne alte Gebäude mit zum Teil großem Erfolg neu, und sie widmeten dem öffentlichen Raum besondere Aufmerksamkeit. Anders als in Hamburg jedoch haben Stadt – und Staat – massiv in das Projekt investiert: 700 Millionen Mark zahlte das Königreich, einen großen Teil davon für die spektakuläre Brücke, die den neuen Stadtteil über die 600 Meter breite Maas mit der City verbindet. Und die Stadt legte noch 600 Millionen drauf.

Selbst die als Beweis für den Segen privatwirtschaftlicher Initiative gefeierten Londoner Docklands wurden stark subventioniert. 7,9 Milliarden Mark investierten die Öffentliche Hand und 14 Milliarden private Unternehmen, hat Bob Colenutt errechnet, der sich jahrzehntelang kritisch mit den Docklands auseinandergesetzt hat. „Das war das am stärksten subventionierte Projekt Europas“, sagt Colenutt. Profitiert davon hätten vor allem der Finanz- und der Immobilien-Sektor sowie die Bauindustrie, nicht jedoch die Dockarbeiter und ihre Familien, die früher dort wohnten und arbeiteten.

Weil es bei den meisten Projekten erhebliche Vorleistungen durch die öffentliche Hand gegeben hat, sind viele StadtplanerInnen skeptisch, ob Hamburg mit der Hafencity wird Geld machen können. „Wir haben kein Projekt gesehen, das ohne die stark stimulierende Tätigkeit des Staates funktioniert“, zog Dieter Läpple von der TU Harburg Bilanz.

Oberbaudirektor Jörn Walter verwies dagegen auf Buenos Aires, das seine Hafenerweiterung ähnlich finanziert habe wie Hamburg es vorhat und darauf, dass Altenwerder als eine ganz normale Belastung eines solchen Projekts gesehen werden könne: Schließlich brauche die Hafencity keine teure Brücke wie der Kop van Zuid.

Überdies, so Walter, sei der Bedarf für die Wohn- und Gewerbeflächen der Hafencity vorhanden: Ausgehend von den Erfahrungen der vergangenen Jahre rechnet der Senat mit einem jährlichen Bedarf von 5500 bis 6000 Wohnungen in Hamburg, von denen zwei Drittel frei finanziert sind. Die 400 Wohnungen, die im Jahresdurchschnitt in der Hafencity gebaut werden sollen, entsprächen lediglich zehn Prozent dieses Bedarfs.

Von den mehr als 220.000 Quadratmetern Bürofläche, die im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre errichtet wurden, deckt die Hafencity 20 Prozent. Dazu kommt der Handel, den die Hafencity nach den Vorstellungen Walters um neue Formen bereichern könnte, etwa Läden, in denen Waren nur noch besichtigt und ausprobiert, aber nicht mehr mitgenommen werden können. Und es kommen Einrichtungen dazu, für die es schwierig ist, anderswo in der Stadt einen Platz zu finden, etwa ein Imax-Kino. „Wir decken mit der Hafencity einen Teil des Grundbedarfs der Stadt ab“, schloss der Oberbaudirektor. Der richtige Weg sei, Flächen in der Stadt zu benutzen, statt an die Peripherie auszuweichen.

Der Investor Dieter Becken bestätigte indirekt die Kalkulation der Stadt: „Wir können mit den Preisen leben, die hier aufgerufen werden“, sagte der Bauherr des Polizeisterns, der „so schnell wie möglich in diese Gegend investieren“ will. Becken betonte, er würde gerne Wohnungen in der Hafencity bauen, und es sei auch möglich, „niedrigpreisige“ Wohnungen zu errichten. Gleichzeitig regte er allerdings eine gezielte Förderung etwa für Familien an, als Alternative zum sozialen Wohnungsbau.

Ullrich Schwarz von der Architektenkammer verlangte, die Stadt müsse Geld bereitstellen, das es auch mäßig betuchten Privatleuten erlaubt, in der Hafencity zu bauen. Er hofft auf eine vielfältige Architektur kleiner Bauherren statt der oft monotonen Architektur großer Investoren. Dieter Läpple wies warnend auf die „Katastrophe“ der toten Kehrwieder-Spitze hin. „Die Stadt ist in der Pflicht zu beweisen, dass sich das nicht wiederholt.“