Supertoleranter deutscher Schwarzkopf

Murad Yacoubi sieht sich selbst als feinfühliges Chamäleon. Er hat keinen Ort, wo er unbedingt leben möchte. Er will Ortswechel nach Lust und Laune, vielleicht eine südländische Frau, die auch hier groß geworden ist, und irgendetwas zwischen vereinnahmender Großfamilie und moderner Single-Kultur

Ich bin nicht gerne Teil von einem Rad, ich bin liebermein Rad selber

Interview EDITH KRESTA

taz: Was schmeckt dir besser, tunesisches oder deutsches Essen?

Murad Yacoubi: Tunesisches Essen schmeckt besser. Es hat mehr Würze, mehr Schärfe. Es füllt mich mehr aus. Das ist nicht nur Essen, das ist Kultur. Wenn ich deutsches Essen habe, dann sind das Pommes, rotweiß.

Wie kochst du denn?

International, oder ich esse bei meiner Mutter.

Wohnst du bei deinen Eltern?

Ich wohne in einer überkulturellen Wohngemeinschaft, zusammen mit einem Araber, einem Russen, einem Deutschen, einem Türken, einem Polen. Das sind alles alte Schulfreunde.

Und funktioniert es?

Ja klar, ist doch geil. Wir sind zwar eine Wohngemeinschaft, haben aber abgeschlossene Wohneinheiten. Also ich teile meine Wohnung beispielsweise mit dem Russen.

Wollen deine Eltern irgendwann zurück nach Tunesien?

Ich glaube schon. Sie haben ja auch ein Haus dort. Darum sind sie ja hergekommen, denke ich.

Willst du auch irgendwann nach Tunesien?

Das fragen alle. Aber es hat noch keiner gefragt, ob ich hier bleiben will. Wenn ich gefragt werde, ob ich hier bleiben will für immer, dann kann ich sagen: Das natürlich nicht. Wenn du Geld hast, ist es hier sicherlich der schlechteste Platz zum Leben. Was soll ich hier als Millionär?

Was sollst du woanders, solange du kein Millionär bist?

Ich könnte mir ein Haus kaufen in Tunis am Strand. Und vielleicht noch ein Haus in Spanien. Und vielleicht noch irgendwo anders ein Haus. Und immer dann, wenn es einem bis hier steht, ab ins andere Haus. Ich habe keinen Bezug zu einem bestimmten Ort, wo ich sagen könnte, dort will ich später unbedingt hin.

Was ist Deutschland für dich?

Das ist die Normalität. So muss es sein. Ich genieße, dass die Deutschen sich immer benehmen müssen. Das heißt, wenn hier ein Rechter durch die Straße rennt und seinen Arm hebt, dann ist das um das Hundertfache schlimmer, als wenn er durch Paris rennt und seinen Arm hebt. Und das gefällt mir. Wenn das hier einer macht, dann sind Kamerateams aus hundert Nationen mit am Start, um zu zeigen, wie die Deutschen wieder abheben. Das heißt für mich erst mal, als anders Aussehender kann es mir nirgendwo besser gehen als in Deutschland.

Was magst du an Tunesien?

Da kann ich alles nachvollziehen, einfach alles. In Deutschland weiß ich nicht, wie das Fleisch in den Topf kommt. In Tunesien gehen wir früh los, kaufen uns ein Schaf, und am Nachmittag ist es im Topf, und ich weiß, wie es dort hineingekommen ist. Und das mag ich an dem Land: dieses direktere, leichtere Leben und diese Freundlichkeit der Menschen. Tunesien ist herzlicher. Für mich ist es schon zu viel. Mich stresst dieses ganze Rumgeknutsche, Geknubbbel. Ich beneide die auch darum, dass die noch so sind. Hier ist man immer eiskalt. Das stresst auch.

Wann warst du das letzte Mal in Tunesien?

Vor vier Jahren.

Warum so lange nicht?

Zum einen liegt es daran, dass ich seit meiner Kindheit jedes Jahr hinfahre. Und mit meiner Freundin zusammen wollte ich eben auch mehr von der Welt sehen als immer nur Tunesien. Außerdem gab es auch ein bisschen Stress. Ich bin nicht gerne Teil von einem Rad, ich bin lieber mein Rad selber. Und wenn ich Teil von einem Rad war, dann nur mit meiner Freundin.

Da war die Hochzeit von meiner Kusine, und ich wurde total eingespannt und hatte gar keinen Bock drauf. Aber ich musste täglich fahren: Hochzeitskleid anprobieren, zur Schminke, zum Hammam, jeden Morgen durch das heiße Tunis, und alles nur, weil ich einen Führerschein habe. Ich plane gerne selber, und die haben mich total eingeplant. Dann bin ich weg und in die Türkei gefahren.

Die Frauen in Tunesien sind den Männern doch längst davongelaufen

Wie war die Türkei?

In der Türkei dachten alle, ich sei Türke. Wenn du dann sagst, du kommst aus Deutschland: „Was Deutschland? Nein! Doch, doch Deutschland . . .“ Da kommen sie nicht mit klar. Und sie fragen: Warum bist du nicht blond und blauäugig? Sage ich: Ja, wir sind die neuen Deutschen.

Wie sehen dich Tunesier?

Für tunesische Frauen bin ich der, der aus dem Ausland kommt. Das kommt immer gut. Das steigert meine Chancen. In achtzig Prozent würde mir die Familie die Frau gleich mitgeben. Mein Kusin, der hat damit tierische Schwierigkeiten.

Warum?

Die Männer dort müssen einer Frau was bieten können. Mein Kusin hatte noch nie einen richtigen Job. Wenn er eine Frau findet, was soll er dann machen? Soll er hingehen und sagen: Du, geldtechnisch ist nichts da, ich kann keine 15.000 Mark auftreiben für Gold, noch habe ich ein Haus, noch habe ich ein Stück Grund. Der muss wieder gehen.

Also ist eine deutsche Frau leichter zu haben?

Tunesische Frauen sind anspruchsvoller. Sie sind härter zu den Männern. Aber sie machen ihren Mann jedenfalls nicht vor fremden Leuten platt. Die machen den schon platt und jeden Tag, wenn es geht, aber wenn sie zusammen sind und sie gehen raus, dann ist alles beim Alten. Hier in Deutschland ist es genau andersrum. Wenn wir uns streiten wollen, gehen wir raus, machen das vor den anderen. Gerade zusammen mit anderen kommen die Spitzen, pick, pick.

Im Übrigen glaube ich, dass die Männer dort mehr trinken, weil sie mit ihren Frauen nicht klarkommen. Die Männer sind doch das starke Geschlecht, aber ich sehe, wie sie jeden Tag vor dem Haus sitzen und gar nicht reinwollen. Und du sieht, jede Stunde, die du dort langgehst, wird ihr Blick glasiger. Die trinken richtig viel.

Die Frauen sind also die Stärkeren?

Die Frauen kriegen irgendwie die Jobs. Die Frauen sind auch besser in der Schule. Also, mein Kusin ist aus der Schule geflogen, meine Kusine hat ihr Diplom in Pharmazeutik gemacht. Welcher Mann sollte ihr noch was bieten können, wenn die nun einen tierisch guten Job anfängt? Die Frauen dort sind den Männern schon davongelaufen. Die Männer sind meiner Meinung nach stehengeblieben.

Warum?

Meine Kusine zum Beispiel hat sich scheiden lassen, weil ihr Mann sie geschlagen hat; das gab es früher nicht. Das fand ich schon super. Da fängt es an, zwischen Mann und Frau zu kriseln. Es ist ja immer so, dass der Mann versucht, seine Frau ein bisschen kleiner zu halten. Also dass die Frau immer hochschaut zu ihm.

Willst du das auch?

Ich bin hier aufgewachsen, ich kenne das hier, auch wenn ich meine südländische Mentalität noch habe, aber ich kann sie unterschwellig verkaufen. Das können Südländer, die jetzt rüberkommen, nicht. Ich bin bestimmt zu neunzig Prozent genauso wie die, aber ich habe den Vorteil, dass ich es besser verkaufen kann.

Ist deine Traumfrau mehr tunesisch oder mehr deutsch?

Ich genieße vor allem, dass die Deutschen sich immer so benehmen müssen

Sie ist wahrscheinlich eine Südländerin, die hier groß geworden ist. Weil sie genau das Gleiche draufhaben wird wie ich. Sie weiß, was sie mir bieten muss, aber sie weiß auch, was sie sich nicht bieten lassen muss von mir. Ich denke, dass sie toll sein wird, auch diese vielen Kulturen, auch diese vielen Traditonen, aber auch das Neue. Da ist alles mit drin.

Wenn du in Tunesien aufgewachsen wärst . . .

. . . dann wäre ich heute Schafhüter. Dann hätte ich garantiert nicht meine Toleranz. Ach, alles wäre anders. Ich würde noch bei meiner Mutter leben. Hätte vielleicht einen Leberschaden. Auf dem Lande, wäre schon verheiratet, hätte Kinder.

Bist du religös erzogen?

Ja, schon. Wir machen Ramadan und machen alles, was man halt so als guter Moslem macht. Aber es war nie so, dass mein Vater sagte: Komm, wir gehen morgen in die Moschee. Ich bin Moslem und glaube an meinen Gott, aber ich bin noch nicht bereit, zu ihm zu beten, denn wenn ich anfange, jeden Tag fünfmal zu beten, dann bin ich schon einen guten Schritt weiter und kann mir die Sachen, die ich mir heute so rausnehme, gar nicht mehr leisten. Dann wäre es ein Widerspruch, Wein zu trinken. Es wäre Sünde, obwohl ich es heute nicht als Sünde sehe. Irgendwann werde ich auch meinen Gebetsteppich rausholen und anfangen zu beten, aber es ist einfach noch nicht die Zeit. Meine Eltern haben sich hier kennen gelernt, ich bin hier geboren und ich bin ganz anders drauf, als wenn meine Eltern sich versprochen gewesen wären. Und ich wäre statt in Neukölln in Tunesien groß geworden.

Unter vielen Türken in Neukölln . . .

„Scheißaraber“, ja, das kenne ich. Aber hallo, dieser Konflikt spielt eine große Rolle. Mir ist das doch Wurscht. Das sind doch nur Platzkämpfe. Ich bin doch supertolerant. Das ist doch die Stärke als Schwarzkopf in Deutschland.

Welche Stärken siehst du sonst noch?

Hier habe ich mehr Zukunft – und weniger Zukunft. In Tunesien kann ich nicht so tief sacken, wie ich hier sacken könnte. Hier besteht die Familie nur noch aus Geschwistern, Mutter und Vater. Da drüben besteht die enge Familie aus Vater, Mutter und den ganzen Kusinen, Onkeln, Tanten. Ich finde, ich bin ein Chamäleon. Ich kann mich immer wieder überall gut anpassen und einfühlen. Ich bin feinfühliger. Ich sehe etwas und kann das viel schneller aufnehmen als andere, die nur eine Kultur kennen. Egal ob in Amerika, England, Frankreich, Deutschland, ich kriege überall ein zwischenmenschliches Gespräch hin.