Tückische Gesetze

Viel Peitsche und ein wenig Zuckerbrot: Mit den üblichen Mitteln totalitärer Systeme machen sich die Machthaber in Belgrad die Medien gefügig

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

„Wir bitten alle Leser, die schlechte Papierqualität unserer Zeitung zu entschuldigen“, stand vor einigen Tagen in der oppositionellen Belgrader Tageszeitung Glas Javnosti. Tatsächlich waren die Texte zum Teil derart verschmiert, dass man sie kaum lesen konnte. Und die Redaktion der auflagestärksten unabhängigen Tageszeitung Blic entschuldigte sich am Samstag bei ihren Lesern, weil sie wegen „Papiermangels“ als Doppelnummer erscheinen musste.

Das Rezept des Regimes ist einfach: Die alternativen Printmedien in Serbien erhalten von der einzigen Papierfabrik im Lande nicht genügend Zeitungspapier, und gleichzeitig ist es ihnen verboten, das benötigte Papier gegebenenfalls zu importieren. „Um den einheimischen Markt zu schützen“, wie Vertreter des Regimes zu erklären pflegen, falls sie eine Begründung überhaupt für nötig halten.

Das Spiel mit dem Zeitungspapier ist nur ein Teil der phantasiereichen Strategie gegen regimekritische Medien. Wie auch in anderen Segmenten der Gesellschaft, werden im Medienbereich radikale Schritte vermieden. Neben den erwähnten Tageszeitungen erscheinen in Belgrad auch noch Danas und Telegraf und die unabhängigen Magazine Vreme, NIN, Blic news und Nedeljni Telegraf, um nur einige zu nennen. Alles Zeitungen, die hart und kompromisslos gegen das Regime und den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević anschreiben.

Auf den ersten Blick könnte man daher den Eindruck gewinnen, dass Serbien ein Schlaraffenland für Meinungsfreiheit ist. Und genau dieser Eindruck soll auch erweckt werden. Denn zu gewitzt sind die Machthaber Serbiens, um die lästigen Medien einfach auszuschalten und so mögliche Massenproteste zu provozieren.

Der Grad der Repression ist gut dosiert, das Regime setzt ganz darauf, alternative Medien allmählich finanziell zu erschöpfen, unschädlich zu machen und als ein Feigenblatt angeblicher Demokratie am Leben zu lassen. Eigens dafür wurde im Oktober 1998 in Serbien ein neues Mediengesetz verabschiedet – ein Gesetz „gegen Andersdenkende“, beklagten sich unabhängige Journalisten.

„Das Tückische an diesem Gesetz ist, dass eine Redaktion für die Aussagen ihrer Interviewpartner verantwortlich ist. Wenn also ein Oppositionspolitiker aussagt, dass Milošević Serbien ruiniert habe, und das veröffentlicht wird, kann sie wegen Verleumdung verklagt werden“, erklärte Saša Mirković, Direktor des neulich abgeschalteten Belgrader Kult-Radiosenders B2-92, gegenüber der taz. Und das Gesetz werde massiv – natürlich nur gegen alternative Medien – angewendet, die Gerichte seien vom Regime kontrolliert und so die gegen unabhängige Journalisten, Redakteure und Zeitungsbesitzer verhängten Geldstrafen für serbische Verhältnisse astronomisch hoch.

B2-92 hat sich nicht ergeben, obwohl der Sender schon zum zweiten Mal verboten worden ist. Er hat sich in der zweiten jugoslawischen Teilrepublik Montenegro als Firma „Intrafeng Group“ registriert und sendet sein Programm nun via Satellit und Internet. Radio Bijeljina im serbischen Teil Bosniens übernimmt das Programm, das so im westlichen Teil Serbiens bis Belgrad empfangen werden kann.

Freilich gehören Besitzer von Satellit und Internet ohnehin zur bürgerlichen Gruppe, die gegen das Regime ist. So hofft B2-92 vor allem, dass ihr Informationsprogramm abgeschrieben und per Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben wird. Hinzu kommt, dass unabhängige Medien ohne Auslandshilfe überhaupt nicht existieren würden. Wenn die Situation der Printmedien sehr schlecht ist, dann ist die Situation der elektronischen Medien in Serbien tragisch.

Kein Wunder, denn 89 Prozent der verarmten und sozial ruinierten Bürger Serbiens schauen fern, viele können sich Tageszeitungen, geschweige denn Magazine überhaupt nicht leisten.

In der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad, zwei Millionen Einwohner, ein Fünftel der serbischen Bevölkerung, sind alle regimekritischen TV- und Radiosender gleichgeschaltet worden. Dafür sorgen die staatlichen TV-Sender täglich für eine ungeheure Pro-Milošević-Kampagne: die drei Programme des staatlichen Fernsehens, das vor wenigen Monaten gewaltsam verstaatlichte Studio B, TV Politika, TV BK und TV Novi Sad. Im international isolierten, wirtschaftlich ruinierten Serbien sollen sie eine rosige Scheinwirklichkeit schaffen. Die „Siege Miloševićs“, der „sensationelle Wiederaufbau“ des Landes nach dem „Bombardement des Nato-Aggressors“ werden glorifiziert, die „fünfte Kolonne“, das heißt die gesamte Opposition und unabhängige Medien, als „Verräter“ und „Nato-Söldner“ angeprangert.

Slobodan Milošević wird als Anführer der ganzen „freiheitsliebenden und demokratischen Welt“ dargestellt, im Kampf gegen den „amerikanischen Neofaschismus und Neokolonialismus“. Jeder, der das nicht einsieht, ist natürlich selbst ein Faschist. Nach dem Motto „Gebt dem Volk Brot und Spiele, und wenn es nicht genügend Brot gibt, dann um so mehr Amüsement“, sorgen sieben private Belgrader TV-Sender für gute Unterhaltung.

Musik, die neuesten Filme, natürlich ohne Urheberrechte, und Sport sollen das Volk in Serbien vom schwarzen Alltag ablenken. Und die Taktik ist erfolgreich. Die Passivität der serbischen Opposition und die Apathie der Bevölkerung hat einen erschreckenden Grad erreicht. Im Herbst sollen in Serbien Kommunalwahlen, die Wahlen für das jugoslawische Bundesparlament, und spätestens im nächsten Jahr jugoslawische Präsidentenwahlen ausgeschrieben werden. Und die Medien werden dabei wieder einmal eine entscheidende Rolle spielen.

Hinweis:Auf den ersten Blick erscheint Serbien wie ein Schlaraffenland für freie Medien