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Surrealer Salat

■ Der Percussionist Matthias Kaul vewandelte den Oldenburger Schlossgarten in ein Biotop für brünftige Wasserbüffel

Das Rad neu zu erfinden gilt als Ausdruck größter Umständlichkeit. Dass die sich aber durchaus lohnen kann, um ein bisschen mehr über die Dinge im Allgemeinen und im Besonderen über deren akustische Qualitäten herauszufinden, das bewies Matthias Kaul an einem sonntäglichen Oldenburger Nachmittag im dortigen Schlossgarten. In „Tinpani Ride“ produziert der Hamburger Grenzwellenerkunder „federleichten Blödsinn“, frei nach einem Gedicht des belgischen Surrealisten Henry Michault.

Kaul bespricht das Paukenfell, das Fußpedal per Hand bedient lässt die Stimme mehrschichtig schwingen, psychedelisches „Wuhu“ tönt gespenstisch in den Baumkronen. Ein leises Sirren mischt sich ein, Ritzeltöne, das Fahrrad als Ready-made. Mit einem Bratschenbogen fiedelt Kaul auf den Speichen, die mehrstimmig klingen, dort, wo sie sich zur Nabe hin überkreuzen. Und der Reifen selbst wird Donnergrollen: Mit einem Stab wird der Abrieb auf das Paukenfell übertragen. Dazu, stetig wispernd, der Zeremonienmeister, surrealen Salat rezitierend.

Flirrend, wie das weiße Sonnenlicht an diesem Nachmittag, schneiden die transparenten Töne einer Glasharmonika die Sinne. Sie schwirren heran, aus dem luftigen Nichts, elfengleich, werden eindringlich, um im selben Moment zu verklingen. „Bachmann“ ist, wie alle Produktionen, eher ein Hörspiel, in das Textfragmente der Autorin Ingeborg Bachmann aus dem Off eingeplappert werden. Kaul umarmt, befingert, überbläst die Glasröhren. Geisterhafte Mehrstimmigkeit erinnert an Synthy-Sounds, aber hier ist eben alles handgemacht und daher emotional packender, weil sphärisch und bröckelnd zugleich. Keine Eindeutigkeiten.

Lustig sind diese Hörgebilde auch, außerdem nett zu gucken. Kaul goes Happening, nämlich ab in die Gummihose und dann in den Oldenburger Schlossparkbach, fettgemästete Enten erschrecken. Plastikrohre, Kürbisschalen und Teekessel werden zu Wasser gelassen. Dieser Krempelhafen wird Zoo: Brünftige Wasserbüffel platschen dort, geraten in Streit, traben drohend auf ein buddhistisches Kloster zu, dessen Gong immer wieder absäuft. Die Kürbisse werden mit – normalen! – Klöppeln traktiert. Eine warme Base treibt mit sattem Ton den Rhythmus an, helle Toms zersplittern scharf, Kürbisschalen fliegen durch die Gegend. Enten schreien laut „gna gna“ und kollabieren vollends, als eine elektrische Zahnbürste im Bauch eines Teekessels selbigen zum Flitzen bringt.

Eine lautmalerische Performance, die zeitweise richtigen Drive bekam und außerdem als Unikat in Kauls Biographie eingehen wird: „Schlosspark Oldenburg“ – gab's nur einmal, umsonst und draußen. Ätschibätsch. Marijke Gerwin

Die nächsten Termine des Oldenburger Kultursommers: Am heutigen Dienstag liest die rumänische Autorin Aglaja Veteranyi im Schlossgarten (18.30 Uhr). Am Mittwoch zeigen Amoros et Augustin ihre Performance „360 Grad im Schatten“ (Schlossplatz, 22.30 Uhr). Info-Hotline: Tel.: 0441/924 80 10

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