herr hefele kriegt zwei minuten
: ALBERT HEFELE über die Ballverliebtheit

Toll ist es, wenn Netze hängen

Das Gerümpelturnier ist vorbei. Ein großer Erfolg wie immer. United Dance Band am Samstagabend und Böhmische Blasmusik am Sonntag. Das Gerümpelturnier findet jedes Jahr statt und ist für Hobbyfußballer.

Ganz wichtig: Jede Mannschaft darf höchstens zwei aktive Fußballer in ihren Reihen haben. Klappt natürlich nie, denn schon bei den Hobbyfußballern wird getrickst, was das Zeug hält, und logisch ist gut die Hälfte aller Gerümpelfußballer aktiv tätig. Heißt für echte Hobbyfußballer wie mich, grade wenn man nicht mehr der Jüngste ist: Vergiss es. Nicht mehr zu gebrauchen. Altes Eisen. Im Ernst: Neben der Erkenntnis, dass einen die jungen Weiber stenisch siezen, auch wenn man noch so locker tut, ist das Aussortiertwerden beim Hobbyfußballturnier ein sicheres Zeichen für die demnächst anstehende Altersteilzeit. Nun ist es so weit. Man darf nicht mehr mittun. Richtig gut war man natürlich nie – es ging halt so grade noch –, und hin und wieder einen gegnerischen Stürmer umrennen, dazu hat’s schon gelangt. Kein großer Verlust für den Fußball, nicht mal für die Hobbyfußballszene, wenn man die Schühlein an den Nagel hängt. Ehrlich gesagt.

Und trotzdem: Was diese Turniere für einen Spaß machen! Zwei oder drei Wochen vorher trifft man sich und trainiert ein bisschen. Kicken halt. Hinter dem blöden Ball herrennen, bis einem die Zunge an die Knie schlägt. Warum? Keine Ahnung. Dieser Geruch frischen Grases. Das Sägemehl der gestreuten Linien. Und hinten die weißen, rissigen Pfosten der Tore. Ganz toll ist es, wenn Netze hängen. Dann steht Bedeutendes an. Großer Fußball. Und man möchte sofort losrennen und sich die Kulle schnappen und auf den Zehenspitzen tanzen lassen. Und wenn man nicht spielen darf, ist man neidisch wie noch was auf die, die spielen, und gierig auf den Moment, in dem man selbst wieder auf den Platz laufen darf. Wie bitte? Klar versteht das niemand, außer denen, die selbst so sind. Meine Freundin sagt: „Mit diesem Fußball bist du wirklich süß.“ Sie meint natürlich blöde.

Ich weiß ja selbst nicht, was es damit auf sich hat. Was so großartig daran ist, sich mit diesem runden Ding zu beschäftigen. Am Rande eines Bayernligaspieles habe ich einmal einen winzigen Knaben beobachtet, der mit Mühe einigermaßen laufen konnte und natürlich kein Auge für das richtige Fußballspiel hatte. Was er aber tat, war, sich die gesamten eineinhalb Stunden mit einem Ball zu beschäftigen. Er rollte ihn vor sich her, legte sich auf ihn drauf, kniete vor ihn hin, flog über ihn drüber. Kam völlig außer Atem und war doch nicht imstande, die alte, verschrammte Kugel in Ruhe zu lassen. Zum Spielende sah ich ihn schlafend im Dreck der Weitsprunggrube liegen. Seinen Ball in den Armen haltend, umschlungen wie einen großen Schatz. Für manche von uns hat so ein Ball offenbar etwas Magisches. Das wir nicht missen möchten, solange uns die Füße tragen. Das uns mit anscheinend immer währender Begeisterung erfüllt, wie kaum etwas anderes.

Vielleicht hat die Krise des deutschen Fußballes damit zu tun, dass viele, die heute spielen, diese Beziehung zum Ball nicht oder zu wenig haben. Manche haben sie, obwohl gar keine Notwendigkeit dafür besteht. Michael Schumacher zum Beispiel. Der hat in einem Prominentenspiel gegen die 90er Weltmeister zwei Tore gemacht und ungefähr gesagt, dass ihm kein gewonnenes Autorennen so viel Spaß gemacht hat wie diese Tore und er noch zwei Tage danach davon geträumt hat. Nie war er mir so sympathisch, weil man es nicht besser ausdrücken kann.

1994 oder so ist mir während eines völlig unwichtigen Hobbyturniers nach einer Ecke ein schöner Kopfball gelungen. Mit Anlauf richtig hochgestiegen, Augen auf und den Ball ideal getroffen. Er ging ganz knapp übers Lattenkreuz ins Aus. Ich sehe heute noch das hohe, grüne Drahgitter hinter dem Tor, das verhindern sollte, dass die Bälle in den nahen Bach fliegen. Ich sehe heute noch die offenen Mäuler der beiden Rentner, die neben dem Tor gestanden sind. Ich kann heute noch mit offenen Augen davon träumen. Und – da bin ich mir sicher: Ich werde auf meinem Sterbebett an diesen Kopfball denken.

Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut, schreibt über die fundamentalen Dinge des sportlichen Lebens und hat eine große Leidenschaft.