88 Zeilen Glückssuche

Wie sieht die Welt jenseits der Ausfahrtstraßen aus? In ihrem Roman „Nachthaut“ schickt Sabine Friedrich zwei Frauen um die dreißig auf die Suche: nach einer verlorenen Freundin, der Vergangenheit und sich selbst

Das Leben kann trist sein, wenn man 15 und weiblich ist. Vor allem dann, wenn man wie Susanne, Irmi und Isa in einem kleinen Kaff irgendwo an der Ostgrenze lebt, umgeben von drei Seiten Stacheldrahtzaun und einer Ausfahrtstraße. Wenn man sich hässlich fühlt und seine Mutter hasst.

Isa, die so schön ist, dass alle Männer sie haben wollen, ist die Erste, die dieses Leben nicht mehr aushält. Kurz vor dem Abitur ist sie einfach verschwunden, ohne sich darum zu kümmern, was Susanne und Irmi ohne sie tun sollen. Sie bleiben zurück, neidisch auf Isa, die es gewagt hat, sich aus dem Kleinstadtmief zu befreien und irgendwo ihr Glück zu suchen. Fünfzehn Jahre später, nach einem deprimierenden Klassentreffen, macht Susanne sich auf, die verschollene Freundin zu suchen. Die Suche nach Isa quer durch Europa wird zu einer Reise in die eigene Vergangenheit.

Irmi folgt Susanne, um ein altes uneingelöstes Versprechen zu erfüllen, und auch sie muss erleben, wie die glatte Oberfläche ihres scheinbar so perfekten Lebens Risse bekommt. Unangenehme Fragen drängen sich auf. Warum ist sie in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt? Liebt sie ihren Mann tatsächlich, oder empfindet sie nur die Notwendigkeit, ihn zu lieben?

Je weiter die beiden Frauen sich von ihrem bisherigen Leben entfernen, desto stärker wird ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, bis es unwichtig ist, ob Irmi Susanne einholen kann und ob sie Isa auf der kleinen Insel vor der afrikanischen Küste finden werden oder nicht.

Was beginnt wie die hundertste Beschreibung des Wahnsinns einer ganz normalen Mädchenkindheit à la Marilyn French, die in ihren Romanen weibliches Unglück zur unabänderlichen Tatsache stilisiert hat, hätte ein schrecklich langweiliges Buch werden können. Legionen von Frauen hätten es gelesen, wissend genickt und wären deprimiert gewesen, weil jede Kindheit irgendwie furchtbar ist.

Susanne Friedrich beschränkt sich jedoch nicht darauf, das Nicht-Glück ihrer Figuren zu beschreiben. Vielmehr taucht sie ein in ihre Gefühle und Gedanken, die ihr Leben so haben werden lassen, wie es eben ist. Die Lebensgeschichten von Susanne und Irmi sind nicht frei von Klischees – dominante Mütter, starke, verletzende Männer –, aber auch nicht von Humor und Komik. Das macht sie realistisch und spannend. „Nachthaut“ ist kein lautes und spektakuläres Buch. Aber Legionen von Frauen werde es lesen, manchmal wissend nicken, manchmal lachen und sich irgendwie verstanden fühlen. SUSANNE KATZORKE

Sabine Friedrich: „Nachthaut“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000, 296 S., 36 DM