Eitelkeit kennt keine Grenzen

Julio Iglesias will nicht länger der ewige Playboy sein, sondern lieber wieder ein Popstar. Nachdem Latin heute so populär ist wie nie, reitet er auf der Welle mit, und macht seinem Sohn Konkurrenz

von MARCEL ANDERS

Ohne Präsidentensuite läuft gar nichts: Dort, im Park Hyatt Hotel im Zentrum von Madrid, räkelt sich Julio Iglesias – ein sportiver Mittfünfziger, dessen volles Haar nicht eine graue Strähne aufweist. „Gefärbt, na klar“, grinst er über seine eigene Eitelkeit. Ähnlich hält er es mit dem Mythos von seinen angeblich 3.000 Liebschaften. „Es waren bestimmt ein paar mehr“, sagt er, und dann: „aber im Ernst: Ich habe einen unglaublichen Respekt vor Frauen. Leider habe ich das erst sehr spät bemerkt und sie nicht immer angemessen behandelt.“

Die wilden Jahre sind vorbei, soll das wohl heißen. Mit seiner aktuellen Lebensgefährtin, dem niederländischen Ex-Model Miranda, lebt er bereits seit Mitte der 80er zusammen. „Das ist wie bei den Fußballern: Mit 25 spielst du wie ein Gott, aber wenn du 48 bist, kannst du höchstens Trainer sein“, sinniert Julio Iglesias.

Tatsächlich hat Julio seinen kommerziellen Höhepunkt längst überschritten: Seine letzten Platten konnten nicht mal ansatzweise an den finanziellen Erfolg von „Amor“ oder „To All The Girls I’ve Loved Before“ anknüpfen. Nach 35 Jahren im Showbiz wurmt ihn das fast so sehr wie der chronische Mangel an weiblichen Fans unter 40 bei seinen Konzerten. Also muss er noch einmal in den Ring.

Sein neues Album „Noche De Cuatro Lunas“ nennt Julio Iglesias einen „rassigen Sportwagen“. Mit dem will er zeigen, „dass Ricky und Enrique nicht zur ersten Garde der Latino-Welt zählen. Sosehr ich sie auch schätze ...“ Die Rede ist von Ricky Martin und seinem eigenen Sohn Enrique Iglesias.

Über 250 Millionen Tonträger hat Julio verkauft, nun will er die Jungen mit ihren eigenen Waffen schlagen. Dazu hat er sich jene Produzenten engagiert, die Martins letztjährigen Sommerhit „Livin’ La Vida Loca“ schrieben: Robi Rosa und Estefano – ein Team, das so locker zwischen Salsa, Rumba, Merengue und Folklore wechselt, dass Julio Iglesias dabei doch arg ins Schwitzen kommt. Aber so will er wieder den seiner Meinung nach ihm zustehenden Platz einnehmen: als Überfigur der Bewegung, als Don Latino.

Denn Iglesias senior wittert eine neue Chance: Lange war der Latin-Sound nicht mehr so populär wie heute. Um diesen Trend zu fördern, hat Julio www.aplauso.com ins Leben gerufen – ein Internet-Service rund um den Latin-Pop, der im September startet. Dass ein Großteil der Latino-Gemeinschaft noch gar nicht vernetzt ist und den Server wohlmöglich kaum zu nutzen weiß, ist ihm bewusst. Das Ganze richtet sich auch eher an den Latin-infizierten weißen Mittelstand. „Du könntest mir sogar eine Mikrowelle als PC verkaufen“, gibt Julio zu. „Aber ich weiß, wie wichtig es ist, die Technik zu nutzen und sich selbst darzustellen.“

Damit kennt er sich aus. Noch heute behauptet er, eine Karriere als Fußballprofi hätte vor ihm gelegen, wäre ihm nicht mit 19 ein Autounfall dazwischengekommen. So hat er es aber auch nicht schlecht getroffen: Sein Privatjet hat ein Marmorbadezimmer und Satelliten-TV. Mit dem wird er in den nächsten Wochen wieder um die Welt touren – USA, Europa, Asien, Afrika und Südamerika. Diesmal allerdings nicht mit der abgegriffenen Las-Vegas-Tour. Sondern mit seinem neuen Latin-Pop-Programm. Und frisch gefärbten Haaren – selbstverständlich.