Sachsens Hochschulen ohne Drittmittel

Ministerpräsident Biedenkopf hat sich entschieden, die sächsischen Hochschulen erneut zur Ader zu lassen. Stimmt das Parlament zu, fallen 15 Prozent der Wissenschaftlerstellen weg. Die Kürzungen gefährden ein Lieblingsprojekt des Exprofessors: Die Akquise von Forschungsgeldern aus der Industrie
aus Leipzig GEORG LÖWISCH

Regieren in Sachsen kann so schön sein. Seit fast zehn Jahren absolute CDU-Mehrheit, eine ordnungsgemäß meckernde PDS und eine SPD mit niedlichen 14 Prozent. Das Rennen um die Nachfolge von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat noch nicht richtig begonnen, und solange vertreiben sich die Mitglieder seines Kabinetts die Zeit auf der Pflanzkartoffelschau in Zwönitz – wie Landwirtschaftsminister Steffen Flath – oder im Dresdner Zoo, wo Kultusminister Matthias Rößler jüngst den frisch entkrauteten „Robbenfelsen“ begutachtete. Der Regierungschef selbst gönnt sich altersweise Empfehlungen. Etwa die an alle Politiker der Republik, ihren Pflichten gegenüber der „nachwachsenden Generation“ bitte gerecht zu werden.

Der 70-jährige Biedenkopf versteht sich aufs Dozieren: Zu Beginn seiner Laufbahn war der Jurist Rektor der Reformuniversität in Bochum. Auch seine sächsische Karriere begann mit einer Gastprofessur: Die Universität Leipzig rief ihn 1990 in den Osten ans Katheder.

Ausgerechnet die Hochschulen stören jedoch zurzeit die Dresdner Regierungsidylle. „Schaden für den Freistaat!“, klagten die Professoren Anfang des Monats: „Ungeheuerliches!“, „Sturzflug!“ Ursache ist Biedenkopfs Plan, in den nächsten acht Jahren von rund 10.000 aus dem Landesetat finanzierten Hochschulstellen über 1.400 Stellen einzusparen, 415 schon bis 2003.

Der Ministerpräsident argumentiert, dass kurz nach der Wende in Ostdeutschland viel weniger Kinder geboren wurden. Deswegen benötigten bald weniger Abiturienten einen Studienplatz. Zudem sieht Biedenkopf wegen der Neuverhandlungen des Solidarpaktes subventionsarme Zeiten auf sein Land zukommen.

Die Professorenkollegen haben dennoch kein Verständnis, zumal Biedenkopf überall, wo er hinkommt, von der „Wissensgesellschaft“ spricht. Sogar Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer drohte seinen Rücktritt an. Mit kleinen Zugeständnissen konnte Biedenkopf den Mann wieder in die Kabinettsdisziplin einbinden: Man könnte die erste und zweite Streichrunde jeweils auch ein Jahr später starten. Zudem soll ein unabhängiges Gremium Strukturveränderungen vorschlagen – eine Hochschulentwicklungskommission, besetzt mit 15 ProfessorInnen, die nicht in Sachsen arbeiten. Ob die Kommission dem Regierungschef mit unpopulären Kürzungsempfehlungen aushilft, wird sich im Oktober zeigen. Dann äußert sich das Gremium.

Solange werden die sächsischen Professoren nicht schweigen. „Bundespräsidenten verkünden mit Ruck- und Zuck-Reden, wie wichtig Bildung ist“, schimpft Klaus Steinbock, Rektor der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, „und im gleichen Atemzug finden solche Kürzungen statt“.

Achim Mehlhorn, Rektor der TU Dresden und Sprecher der Landeshochschulkonferenz fürchtet gar eine Art Kettenreaktion: „Wenn der Landeshaushalt so heruntergefahren wird, erleidet auch die Akquise von Drittmitteln Schaden.“ Denn ein Wissenschaftler besorge im Schnitt eine Drittmittelstelle. Forschungsmittel von Dritten stellen die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Industrie für zeitlich befristete Projekte. In Sachsen kommen so über 5.000 Stellen zusammen, die nicht aus dem Hochschuletat des Freistaates finanziert werden.

Gerade erst hat zum Beispiel die Autoindustrie Forschern der TU Chemnitz 650.000 Mark gegeben, damit sie zwei neuartige Getriebe von japanischen Nissan-Autos untersuchen. Projektleiter Peter Tenberge bezahlt von dem Geld drei Nachwuchswissenschaftler, bindet studentische Hilfskräfte ein, kauft Geräte und vergibt Unteraufträge. Die Chemnitzer setzten sich gegen Braunschweig, Hannover und München durch. Genau so stellt es sich Biedenkopf vor. Noch 1998 erklärte der Ministerpräsident auf einem CDU-Parteitag Drittmittel zum Indikator für eine gute Uni: „Denn diejenigen, die Geld an eine Universität geben, um Forschung zu unterstützen, die gucken sich genau an, was mit dem Geld geschieht.“

Nun könnte es sein, dass es bald nicht mehr viel zu gucken gibt in Sachsen. Das jedenfalls erwartet Professor Tenberge: „Sollte es zu diesen Kürzungen kommen, können wir nicht mehr mithalten.“

Vor dem Auftrag für den Getriebetest hätten zehn Experten aus der Industrie seine Prüfhallen und Forschungsarbeiten begutachtet. Die Grundausstattung müsse eben die Uni bringen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Cornelius Weiss kommt daher zu einer pessimistischen Prognose: „Sachsens Hochschulen müssen sich nach den staatlichen Amputationen auf den Verlust eines Vielfachen der Drittmittelstellen gefasst machen“ (siehe auch Interview).

Tenberge fürchtet nicht nur schlechte Chancen im Wettbewerb um externe Gelder, er hat Furcht davor, dass sein Team bald nach dem Zufallsprinzip zusammenschrumpft. Die Stellen zweier älterer Mitarbeiter würden womöglich einfach wegfallen, wenn sie in Ruhestand gingen – ganz egal, wie wichtig die Positionen sind. Biedenkopfs Sprecher Michael Sagurna dagegen rechnet vor, dass bis 2009 ja ohnehin 2.700 Mitarbeiter in den Ruhestand gingen. Da insgesamt viel weniger Stellen zur Disposition stünden, werde eben „nicht mit dem Rasenmäher“ gekürzt. Der Sprecher der Rektoren, Mehlhorn, hält das für wirklichkeitsfern: „Die Zeit ist zu kurz.“ Bei den ersten 415 Stellen, die in den nächsten drei bis vier Jahren wegfallen, werde der Zufall entscheiden.

Letztlich werden die Professoren empfindliche Kürzungen nicht verhindern können. Schon gehen Gerüchte um, Sachsen werde sich keine Jurafakultäten in Leipzig und Dresden leisten. Vielleicht lässt sich ja auch der eine oder andere Lehrstuhl in eine Gastprofessur umwandeln. In Dresden wäre zum Ende der Legislaturperiode zufällig ein Wissenschaftler frei, der sich aufs Dozieren versteht.

Zitat:„Sollte es zu diesen Kürzungen kommen, können Sachsens Unis nicht mehr mithalten.“