Die Dialektik der Anhäufung

Umsatz um jeden Preis: Die Börsengänge spülten zwar viel Kapital auf die Konten, aber dafür stehen die deutschen Filmfirmen mächtig unter Druck

Interessiert sich ein Zuschauer dafür, welcher Verleih den Film, den er gerade ansieht, ins Kino gebracht hat? Ob ein US-Major oder deutscher Independent? Ein Zweimannbetrieb aus Kreuzberg oder ein Multi-Millionen-Euro-Unternehmen aus München? Und will er wirklich über den Beteiligungshintergrund der Kinokette, in deren Sessel er sich gerade fläzt, Bescheid wissen? Womöglich noch darüber, wo die Kopien gezogen wurden, die digitalen Spezialeffekte entstanden, und wer das Popcorn liefert?

Neuerdings ja. Seit die Deutschen ihren Sparstrumpf gegen Börsenportfolios und Online-Depots getauscht haben, die Dotcom-und Start-up-Generation über Venture Capital schwadroniert, seit Eltern ihren Teenage-Kids ein bisschen „Spielgeld“ zustecken, weil sie sich selbst an Aktien nicht so recht rantrauen, aber in Zeiten des kollektiven Spekulationsrausches nicht in der Loser-Fraktion der Sparbuchbesitzer verharren wollen, hat das Filmgeschäft eine ganz neue Facette von Glanz und Glamour erhalten: in Form von Gewinnen, an denen plötzlich jeder ganz easy partizipieren kann, der sich Unternehmensanteile, sprich: Aktien kauft, auch wenn die Euphorie zur Zeit eher verhalten ist.

Der Börsen-, der eher ein Aktionärsboom ist, hat nicht nur das Verhalten der Konsumenten, sondern natürlich auch Größe, Macht, Struktur und die Produktpflege deutscher Filmfirmen verändert. Vieles, was vor gar nicht so langer Zeit noch branchenintern als Klitsche oder Abschreibungsfalle abgetan wurde, erstrahlt nun als Global Player. Als vor circa zwei Jahren Unternehmen wie Kinowelt, Senator, Intertainment, Advanced und Constantin im Kielwasser von Thomas Haffa, der mit seiner Lizenzhandelsfirma EM.TV eine strahlende Erfolgsgeschichte geschrieben hat, an den Neuen Markt gingen, füllten sie mit dem Börsengang ihre Kriegskasse, um unter anderem auch den amerikanischen Majors trotzig die Stirn zu bieten und eigenes Territorium nicht kampflos aufzugeben – immerhin ist Deutschland für die amerikanische Filmindustrie der wichtigste Auslandsmarkt.

Mussten die hiesigen Filmfirmen vorher mit Eigen- und Anlegerkapital, Krediten und Fördergeldern jonglieren, hatten sie nun echtes Geld unters Volk zu bringen. 78 Millionen Mark spülte z. B. der Börsengang von Kinowelt auf die Firmenkonten. Seither ist die Firma, die 1984 als Filmkunstverleiher startete, zu einem integrierten Medienkonzern aufgestiegen, der zahlreiche Beteiligungen hält, etwa am einstigen Defa-Verleiher Progress und am Tübinger Arsenal-Verleih, den Filmstock des renommierten Pandora-Verleihs übernahm und inzwischen Herrscher im Haus Jugendfilm sowie beim Filmverlag der Autoren ist. Und das ist nur das Kerngeschäft mit der Kinoware, dazu kommen Engagements bei Kinos, Fußballvereinen, Cinema-on-Demand-Techniken und TV-Sendern.

Eine Schlagrichtung des Unternehmens geht eindeutig dahin, sich ähnlich wie einst Leo Kirch möglichst viele Filmrechte zu sichern, also quasi die Software, mit der zukünftig Videos im Internet abgerufen oder gar ein eigener Fernsehsender bestückt werden können. Inzwischen beläuft sich die Marktkapitalisierung, die man mit Abstrichen als Wert des Unternehmens nehmen könnte, auf knapp 2,6 Milliarden Mark. Im traditionellen Kinogeschäft belegte Kinowelt im letzten Jahr gemeinsam mit seinem Filmkunstableger Arthaus mit einem Marktanteil von elf Prozent sogar den fünften Platz hinter den US-Majors UIP, Buena Vista, Warner und Fox.

Dem deutschen Film hat diese Mischung aus Expansion und Konzentration der deutschen Filmindustrie indes bislang nur wenig genutzt. Die mit Erfolgen wie „Der bewegte Mann“ oder „Knockin’ on Heavens’s Door“ losgetretene Begeisterungslawine ist längst wieder vorbei; kommerzielle und/oder qualitative Perlen sind so rar wie eh und je, und auch ins Ausland verkaufen lässt sich der deutsche Film noch immer nicht.

Und die durch Actionkapital aufgeblähten Firmen stehen mächtig unter Druck: So wird denn auch fleißig weiter in internationale, naturgemäß vor allem amerikanische Filmpakete investiert, werden Output-Deals und Package-Deals, strategische Allianzen geschlossen – manchmal, so erweckt es den Anschein, in erster Linie, um Nachrichten verbreiten zu können, denn noch die krümeligste Ad-hoc-Meldung ist für die Anleger besser als keine. Krieg und Kino gehen im Machtkampf der Globalisierung und der Gier nach Programmen, die all den schönen neuen IT-Techniken – oft genug erst retrospektiv – überhaupt einen Sinn geben sollen, eine ganz neue Liaison ein.

Die Filme sind zwar immer noch der Angelpunkt der so genannten Wertschöpfungskette, doch im althergrachten Verleihsektor lässt sich kaum noch Geld verdienen, wenn man weiß, dass knapp 50 Prozent vom Geld für eine Kinokarte an den Verleih fließen, die durchschnittlichen Herausbringungskosten (Kopien, Werbung, Transport etc.) aber schon bei ca. 6,50 Mark liegen. Das Geschäft wird also mit Lizenzverkäufen an Video- und Fernsehanbieter, Verlage, Merchandising- und Spielzeughersteller gemacht, wobei sich angestammte Verleiher oft selbst auf diesen Geschäftsfeldern ausbreiten. Warum sollte man den Gewinn auch anderen überlassen?

In der Konsequenz heißt das, dass immer mehr Filme auf die Leinwand gebracht werden. Entweder um diesen Verwertungszyklus überhaupt erst in Gang setzen zu können oder weil Verträge eine Kinoauswertungen vorschreiben, weil Börsenanalysten und Fondsmanager stetig mit News und Zahlen gefüttert werden wollen und im Geschäftsbericht sowohl bekannte Titel wie große Ziffern erwarten. Hin und wieder auch, weil ein Verleiher noch ganz altmodisch und anständig an einen Film und seinen Erfolg glaubt. Bloß der Spaß daran scheint selbst so manchem einst idealistischen Verleih vergangen zu sein.

ANNETTE KILZER