Das Herz liest links

Die traditionsreiche Tageszeitung „Unità“ macht die Schotten dicht. Jahrelang war das Blatt Italiens linkes Gewissen. Jetzt, wo die Linke an der Regierung ist, kommt das Aus

Am Donnerstag war die Zeitung um zehn Uhr morgens restlos ausverkauft, am Freitag gar schon um halb neun. Eine Situation, von der die meisten Chefredakteure nur träumen, doch für Giuseppe Caldarola, Chef der Unità, ist sie ein Alptraum.

Denn der Absatzboom war bloß das vorerst letzte Zucken im Todeskampf des Traditionsblattes: Nostalgiker sicherten sich da die letzten Nummern für ihr Archiv. Schon seit Tagen war bekannt, dass die Unità pleite ist, letzte Woche hatte Liquidationsverwalter Viktor Uckmar mitgeteilt, dass die Papiervorräte nur noch bis zum gestrigen Freitag reichten. Damit hatten die Alteigentümer – vorneweg die Nachfolgepartei der KPI, die Demokratische Linke – signalisiert, dass neue Kapitaleinschüsse in das defizitäre Blatt nicht mehr zu erwarten waren.

Neue Eigentümer standen auch schon bereit: Um den Buchverleger Alessandro Dalai hatte sich eine merkwürdige Seilschaft formiert, an deren Spitze zwei Vertreter der Modebranche: Alessandro Benetton und der Chef des Miederwarenherstellers Robedikappa. Doch Liquidator Uckmar fand als Kommentar nur ein Wort. „Lächerlich“ sei das Angebot, ohne jede ökonomische Basis. Pikanterweise war gerade Massimo D`Alema – Ex-Vorsitzender der Linksdemokraten, Ex-Ministerpräsident und Ex-Chefredakteur der Unità – auf Solidaritätsbesuch in der Redaktion, als das Aus ab Samstag verkündet wurde. Und pikanterweise wurde gleich darauf eine Solidaritätsadresse des Parteivorstands der Demokratischen Linken verlesen, beantwortet von den Protestrufen der Redakteure angesichts der schönen Worte ohne Taten.

So endet als traurige Posse, was bei der Gründung durch Antonio Gramsci 1924 heroisch begonnen hatte. Die Illegalität und den Krieg überlebte das Blatt, es gedieh während der kommunistischen Opposition gegen die christdemokratischen Regierungen des Nachkriegsitaliens, nur um jetzt sang- und klanglos unterzugehen: jetzt, da die Linke erstmals an der Macht ist. Es war Unità in den letzten Jahren nicht gelungen, zwischen Regierungsnähe und dezidiert linken Positionen eine Linie zu finden. Anhänger der Mitte-links-Koalition sehen sich weit besser etwa durch die Repubblica bedient; die strammen Linken greifen lieber zum Manifesto.

Gerade der Manifesto aber, 1972 von KPI-Dissidenten gegründet, reagiert nicht mit Schadenfreude auf den Untergang des großen Bruders. Von heute an stellt das kleine linke Blatt der Unità-Redaktion täglich eine Seite zur Verfügung; und der Manifesto-KommentatorParlato geht noch einen Schritt weiter. Er regt die Fusion der drei linken Tageszeitungen Italiens – der Unità, des Manifesto, und der Liberazione – zu einer neuen, linken, pluralistischen und lebensfähigen Zeitung an. MICHAEL BRAUN