Tränen, Tratsch und Tacheles

Ein feuilletonistischer Dinosaurier krankt an seiner eigenen Eitelkeit: Das „Literarische Quartett“ stolpert über sich selbst und die Zwänge des Mediums. Was als charmanter Anachronismus begann, ist zur Muppet-Show der Literaturkritik verkommen

von ANIA MAURUSCHAT

Alle Fragen offen? Na denn: Es gab zwar ein Gespräch, zu einer Entschuldigung soll es dabei aber nicht gekommen sein. Und auch wenn auf der ZDF-Homepage schon die Bücher der für den 18. August geplanten Sendung angekündigt sind – ob es jemals wieder ein „Literarisches Quartett“ geben wird ist noch ungewiss.

Zumal schon lange vor dem Eklat Gerüchte kursierten, das Marcel Reich-Ranicki fernsehmäßig bald in Rente gehen will. Dass es nun jedoch besonders kritisch ist, daran sind die sich überschlagenden Exklusivmeldungen der letzten Wochen nicht unschuldig. Wenn trotzdem auch an dieser Stelle noch mal darüber geschrieben wird, dann geschieht das vor allem, weil sich der Fortsetzungsroman „Kabale und Hiebe im Literarischen Quartett“ inzwischen wie ein Lehrstück in Sachen „Medienrealität“ liest.

Als das erste „Literarische Quartett“ 1988 im Fernsehen lief, konnte es noch als Sieg des siechenden Bildungsbürgertums über das profane Nullmedium gefeiert werden. Im Laufe der letzten 12 Jahren entpuppte es sich jedoch immer mehr als das, was es wirklich ist: Die Muppet-Show der Literaturkritik. Auch Rollen und Koalitionen in diesem ewig wiederkehrenden Improvisationstheater hatten sich dabei immer mehr herauskristallisiert: Despot Reich-Ranicki (80) mit seinem Getreuen, dem Popgreis Karasek (66), gegen die Intellektuelle Löffler (57). Und dazwischen immer ein hilfloser Gast und fünf wehrlose Bücher, die im Hauruckverfahren ein Gütesiegel aufgepappt bekamen. Nie war das „Literarische Quartett“ wirklich etwas anderes als eines dieser unzähligen gesellschaftlichen Spektakel, die alle zusammen die Medienrealität ergeben und Wirklichkeit simulieren. It’s only Entertainment!

Was da aber nun am 30. Juni 2000 auf der Expo passiert ist, war nichts Geringeres als der spektakuläre Einbruch der Wirklichkeit in die Medienrealität – der wiederum die Medienmaschinerie anheizte und ein neues Spektakel schuf. Nur zwei kurze Einstellungen zeigten, wie Sigrid Löffler um Fassung und mit den Tränen rang, nachdem Reich-Ranicki sie mit persönlichen Unterstellungen verletzt hatte. Dass Löffler zuvor Reich-Ranicki provoziert hatte, indem sie sein Faible für erotische Literatur als „Altersfrage“ diskreditierte, und dass Tränen auch eine weibliche Waffe sein können, war dabei nebensächlich. Einzig das Aufblitzten eines wirklichen Menschen hinter der Fassade seiner Rolle führte dazu, dass sich zuerst Bunte darauf stürzte und mit einem noch heftigeren Reich-Ranicki-Interview die aufgeblitzte Wirklichkeit in potenzierte Medienrealität zurück verwandelte. Woran sich FR, Welt, Spiegel, taz, SZ, Stern, N3 und alle anderen naturgemäß beteiligten.

Schuld am nun drohenden Ende des „Literarischen Quartetts“ sind aber vielleicht gar nicht so sehr persönliche Animositäten oder Intrigen, wie allerorten zu lesen war. Es könnte vielmehr auch daran liegen, dass die Kluft zwischen Medienrealität und Wirklichkeit aus mehreren Gründen im „Literarischen Quartett“ einfach zu groß geworden ist.

Nachdem seine Autobiografie die Sachbuch-Bestsellerlisten gestürmt hatte und Reich-Ranicki rund um seinen 80. Geburtstag in den Medien groß gefeiert wurde, war der sowieso schon berühmt-berüchtigte und höchst streitbare Literaturpapst endgültig zu einem dieser „Alles ist Pop“-Stars à la Zlatko mutiert. Ohne es gemerkt zu haben.

Denn egal, ob Reich-Ranicki nun vertraulich gegenüber der Bunten Löffler als „niederträchtiges Weib“ bezeichnet und erfolgstrunken von 545.000 verkauften Büchern berichtet hat oder nicht – sicherlich hat der langjährige FAZ-Redakteur nicht überblickt, was es heißt, mit der mephistophelischen Tratschtröte Paul Sahner Tacheles zu reden. In dem Maße, in dem Reich-Ranicki zum „Alles ist Pop“-Star aufstieg, ließ sich Löffler allerdings immer mehr nach links außen ins Abseits auf die Rolle der „Intellektuellen“ abdrängen. Und biss sich regelrecht darin fest, was sie beim Publikum sowie bei ihren Kontrahenten etliche Sympathiepunkte kostete.

Auch sie schien auf ihre Art die Medienrealität zu verkennen. Tabu im Fernsehen ist nun mal „Leninismus und nicht Sex“ (Roger Willemsen). Und eben auch Löfflers „differenzierte Betrachtung der Geschlechterverhältnisse“. Unter den gegebenen Zwängen des Mediums können Intellektuelle im Fernsehen halt nichts Substanzielles sagen. Und auch nicht erwarten, es zu können. Warum sie trotzdem immer wieder hingehen? Weil der Bildschirm ihre „Stätte narzisstischer Zurschaustellung“ ist (Pierre Bourdieu).

Der Einzige, der sich mit der gewandelten Öffentlichkeitsstruktur der Privatfernseh-Ära arrangiert hat, wenn auch unbewusst, ist Hellmuth Karasek. Denn der einstmals renommierte Journalist ist in den letzten Jahren zu einem Trash-Produzenten par excellence regrediert.

Ob es nun sein Handy-Buch ist, oder ob es seine berüchtigten Glossen im Berliner Tagesspiegel sind, in denen er schon mal den Geruch der Piemont-Trüffel mit dem eines „Renaissance-Betts nach einer Liebesnacht“ vergleicht. Oder zu Verona Feldbusch bekennt: „Als Wandkalender lässt sie die Herzen pubertierender Jungs jedes (sic!) Alters höher schlagen.“

Hollywood-Män Karasek („Ich und Billy Wilder . . .“) hat als einziger die Krise von Feuilleton und Literatur bemerkt und heillos versucht, sich gesellschaftlichen Veränderungen zu öffnen. Seine Bemühungen entgleiten ihm jedoch immer wieder in Hanswurstiaden, so dass er bald den letzten Anschein von Seriosität verspielt haben wird. Insgesamt muten Löffler, Reich-Ranicki und Karasek auf ihrer Ledergarnitur wie feuilletonistische Dinosaurier der Großkritik an, die nicht bemerkt haben, was heute Medienrealität bedeutet, und deren Rollen sich auf unheilvolle Weise verselbständigt haben.

Wahrscheinlich ist das „Literarische Quartett“ also leider nichts anderes als eine anachronistische Sendung (was ja nicht schlimm wäre), mit anachronistischen Prominenten, die die heutige Zeit nicht verstehen und darum in einem letzten Aufbäumen verzweifelt die Sau raus lassen. Übrigens: Die Einschaltquote war in den letzten Jahren ohnehin in den Keller gerauscht, weswegen das ZDF sicherlich froh wäre, wenn sie endlich eingestellt werden würde. Das jedoch kann das ZDF nicht von selbst tun, weil das „Literarische Quartett“ nun mal eins seiner letzten Feigenblätter ist. Vielleicht ist der Einbruch der Wirklichkeit in die Medienrealität und seine Rückverwandlung in potenzierte Medienrealität darum aber auch gar keine Katastrophe, sondern vielmehr eine perfektere Inszenierung des ZDF. Denn wenn es am 18. August ein „Quartett“ gibt, dann wird die Quote mindestens wieder so hoch sein wie früher. Und wenn nicht, dann trifft zumindest das ZDF keine Schuld.