Heimat is the nigger of the world

Das ist die Neue Deutsche Kanak Invasion: In der Akademie der Künste wird die Anthologie „Morgen Land“ vorgestellt

Das Etikett „neue deutsche Literatur“ ist beliebt und wird gern an alles geheftet, was von Autoren kommt, die irgendwie jung, innovativ und modern sind. Die Haupteigenschaft dieser Autoren ist allerdings die, deutsch zu sein: deutscher Pass, deutsche Eltern, deutsche Biographie. Künstler, die diese Kriterien nicht erfüllen, kommen in die Schublade Migranten- und Ausländerkultur.

Doch diese Kategorien verlieren zunehmend ihren Sinn. Es tauchen Autoren auf, die zwar keine deutschen Eltern haben, aber in Deutschland aufgewachsen sind und nicht länger als Kultur-Brückenpioniere gesehen werden wollen. „Morgen Land“, herausgegeben von Jamal Tuschick, ist ein Band, in dem 27 Autoren unterschiedlichster Abstammung ihre Sicht auf Deutschland erzählen, auf ein Land also, in dem sie gleichzeitig fremd und zu Hause sind. Manchmal sind diese Geschichten so bissig, dass man erschrecken könnte.

Die Autoren wehren sich dagegen, ihre Herkunft zu ideologisieren. Sie möchten sich nicht am exotischen Rand der deutschen Literaur wieder finden, sondern mittendrin: „Auf die Ethnie beziehen sich die Ausgebremsten“, schreibt Jamal Tuschick im Nachwort. Ihre Geschichten erzählen von ganz unterschiedlichen Aspekten des Lebens in Deutschland. Wer völkerverständigende Prosa erwartet, wird wohl erschrecken über die schrillen und so gar nicht korrekten Geschichten wie die von Raul Zelik über Spandauer Geldeintreiber und Anabolika-Türken.

Sarah Khan zum Beispiel, nach eigenen Angaben mit circa drei Millionen über den Erdball verteilten Pakistanis verwandt, beschreibt in ihrer Geschichte „Die Leute aus Sewastopol“ die Gefühle und Gedanken einer ganz normalen Frau, bei der es egal ist, woher sie kommt. Der in Jugoslawien geborene Zoran Drvenkar erzählt in „Zuckerfrei“ eindringlich von einer schrägen Beziehung. Wer interkulturelle Auffälligkeiten erwartet, wird enttäuscht: Die Künstler wollen ernst genommen werden, weil ihre Arbeiten gut sind – und sich nicht auf Veranstaltungen wieder finden, auf denen noch ein repräsentativer Ausländer fehlt.

Anders sind sie trotzdem: Die Autoren begreifen ihre Möglichkeit, sich in zwei Sprachen und Kulturen bewegen zu können, als Potenzial, das sie deutschen Autoren voraushaben. Ihre Selbstbezeichnung „Kanakster“ ist mittlerweile von der Beleidigung zur Ordenskategorie aufgestiegen, und mit „Morgen Land“ geht sie weiter, die „kanakerundniggerundinvasion aus aller welt die es in sich hat“ (Jamal Tuschick/Feridun Zaimoglu).SUSANNE KATZORKE

Jamal Tuschick liest heute ab 20.30 Uhr mit Raul Zelik, Sarah Khan und Zoran Drvenkar in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10