kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Cricket

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Wichtigste beim Cricket ist die Picknickausrüstung. Ein Korb, prall gefüllt mit allerlei Leckereien, eine karo gescheckte Decke und solider Langmut des Picknickers sind das Rüstzeug, um das Spiel zu überleben. Es dauert. Einen Tag. Zwei Tage. Drei Tage. Endlos lang versuchen die Cricket-Spieler einen Elefanten durch ein Nadelöhr zu pfropfen. Sie fangen beim Rüssel an, ziehen beharrlich, bis sich der Leib irgendwann bei der zigsten Teatime anschickt, durchs Hindernis zu schlüpfen.

Was für ein ereignisloses Spiel. Unter Androhung eines weiteren Cricket-Matches wurde dem Autor verboten, es langweilig zu heißen. Nein, die Langeweile, einst ein königliches Vergnügen, flieht dieses Spiel. Aus Sicherheitsgründen: Denn: Die in der Langeweile verpuppte Angst vor Öde droht sich schon nach geraumer Zeit mit lautem Knall aus der Larve zu sprengen und all den gestauten Unwillen, um nicht zu sagen Hass mit an die Luft zu setzen. Deswegen muss man mutig sein. Von stiller Leidenschaft ergriffen. Zu dem Vergnügen hingezogen sein, dass einem anderen Kulturkreis, einer anderen Zeit zu entstammen scheint.

Wir sind auf einer Rasenfläche an der Hans-Braun-Straße nördlich des Olympiastadions angekommen. Wochentags etwa ab 18 Uhr wird hier Cricket gespielt. Eine Hand voll Spieler hat sich zusammengefunden. Ein Pitcher, ein Werfer also, wirft ungezählte Male einen roten Hartgummiball, um zwischen zwei Holzstangen zu treffen. Das gelingt selten. Manchmal wird sogar ein Schläger aus Weidenholz vom Batter geschwungen. Oft springt der Ball zur Seite, wird gefangen und der Schläger hat diese Runde verloren. Man versteht: Aus Cricket hat der nervöse Amerikaner irgendwann Baseball gemacht.

Im Reich des Commonwealth war es durchaus Tradition, junge Snobs im blütenweißen Beinkleid auf eine frisch geschorene Rasenfläche zu schicken – in heißen Gegenden wird auch auf Kokosmatten gecrickt – und ihnen vom Rand aus zuzuschauen, nicht ohne dass die Damen ein Champagnerglas unter regenschirmgroße Hüte führten, die Herren verhalten plauschten. „So eine elitäre Truppe sind wir überhaupt nicht“, sagt Dave Tree. Er ist Chef des Berliner Cricket Clubs (BCC) und muss wissen, wovon er spricht, schließlich kann er, der Ingenieur bei Rolls-Royce in Berlin-Dahlewitz ist, den Snobfaktor wohl sehr gut ermitteln.

Die nach Berlin Zugereisten haben Cricket mitgebracht. Durch sie besteht der Sport in der Hauptstadt. 1850 gründeten Engländer den 1. Berliner Cricket Club. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es 14 Vereine. Nach dem Zweiten nur noch vier. Der Abzug der Alliierten beschleunigte den Niedergang. Doch mit dem Zuzug von Botschaftsmitarbeitern nahte die Rettung. Ungefähr 130 Spieler sind in fünf Klubs eingeschrieben. Beim BCC spielen meist Engländer, beim DSCC Inder, bei Victoria Pakistani. Auch Staaken und die British Embassy haben Teams. Wenige Deutsche sind darunter, obwohl auch Anfänger willkommen sind und Tree ermutigt: „Nicht mal alle Briten kapieren Cricket.“ Aber wer will diesen Sport schon durchschauen, geschweige denn ausüben, wo er doch so vorzüglich als Beiwerk eines stilvollen Picknicks taugt. MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 7 Punkte