Laboranten am stärksten gefährdet

Hamburger Studie zeigt Zusammenhang zwischen Beruf und MCS-Erkrankung. Krankheitsbild mit bis zu 50 Symptomen. Raumluft ist oft Träger der auslösenden Chemikalien. Manche Berufsgruppen sind besonders gefährdet

KÖLN taz ■ Die Palette der von den Patienten genannten Symptome gleicht einem bunten Strauß aus dem Horrorkabinett der Krankheiten und reicht von ständiger Müdigkeit, Vergesslichkeit, Hautjucken über Hör- und Sehstörungen bis hin zu Geruchsempfindlichkeit, Sprachstörungen, Übelkeit und Infektionsanfälligkeit. Die Patienten leiden an einer umstrittenen Krankheit: Multiple Chemikalien-Sensitivität, kurz MCS. Auslöser für MCS ist meist ein Kontakt mit Chemikalien, woraus sich ein Krankheitsbild mit bis zu 50 Symptomen entwickelt. Die Schulmediziner können mit den vielen Beschwerden der MCS-Patienten in aller Regel nichts anfangen. Deshalb werden diese gerne als Jammerlappen tituliert, als Hypochonder, als eingebildet Kranke.

Eine Studie von Professor Werner Maschewsky, der an der Hamburger Fachhochschule Sozialmedizin lehrt, kann diese Vorurteile nicht bestätigen. MCS kann man sich danach durchaus am Arbeitsplatz zuziehen. „Eine Stigmatisierung oder auch Psychiatrisierung von MCS-Patienten ist meiner Ansicht nach nicht haltbar, sondern es zeigen sich klare Zusammenhänge mit Arbeitsbedingungen“, sagt Maschewsky.

Die klaren Zusammenhänge sind die Früchte von 18 Monaten Fleißarbeit. 580 MCS-Patienten konnte der Sozialmediziner in seine Studie einbeziehen. Er fragte diese nicht nur nach dem Beruf, sondern auch nach den Arbeitsbedingungen. Es zeigte sich: Insbesondere die Raumluft scheint Träger für die krankmachenden Stoffe zu sein. „Praktisch alle haben über Luftbelastung am Arbeitsplatz geklagt“, sagt Maschewsky. Manche Arbeitsplätze bergen nach der Studie ein enorm hohes MCS-Risiko.

Das höchste Risiko gehen die so genannten technischen Sonderfachkräfte ein. Ihr Beruf ist bei den MCS-Kranken der Studie 7,8-mal höher vertreten als im Bevölkerungdurchschnitt. „Das sind chemisch-technische und biologisch-technische Assistenten, Pflanzenschutzmittel-Laboranten oder auch Werkstoffprüfer“, erläutert Maschewsky. Gerade in diesen Berufen ist ein Kontakt mit Chemikalien die Regel und nicht die Ausnahme. Ebenfalls statistisch signifikant erhöhte Risiken haben Raumausstatter (3,5fach), Drucker (3,2), Maler und Lackierer (3,0) oder Lehrer (2,3) sowie 15 weitere Berufsgruppen bis herunter zu Gärtnern mit einem immerhin noch 1,3fach erhöhten Risiko.

Die These, dass MCS vor allem ein Problem von überempfindlichen Personen sei, gerät durch die Ergebnisse ins Wanken: „Die Berufe mit besonders hohem MCS-Risiko – wie technische Sonderberufe, Raumausstatter, Maler und Lackierer – zeichnen sich gerade nicht durch Überempfindlichkeit und Klagsamkeit aus, sondern eher durch Unempfindlichkeit und Klaglosigkeit“, so der Hamburger Sozialmediziner. Kollege Zufall ist bei der Studie ausgeschlossen, denn in den einzelnen Berufsgruppen fanden sich genügend Fälle für statistisch sichere Aussagen.

Die bisherige Praxis der Psychiatrisierung der MCS-Kranken hält Maschewsky für eine billige Lösung: „Diese befreit Produzenten, Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften von Haftungs- und Entschädigungsansprüchen und wälzt die anfallenden Kosten auf die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung über.“ Auf lange Sicht, da ist Maschewsky sicher, zieht der Psycho-Trick nicht: „Wir kennen das aus dem Bereich der Lösemittelerkrankungen, die bei uns mit 20 Jahren Verspätung als Berufskrankheit anerkannt wurden.“

DETLEF STOLLER