Ein Hauch von Hippie

Damenbärte, Verbrecher und andere Kleinigkeiten. Das kleine Festival „regionale – kapitale“ im Prater gibt sich randbetont und multimedial

Nun ist es weg, das schillernde New-Globe-Theater! Abgebaut und ausgelagert in die Provinz. Ratzekahl ist der Prater; man sieht wieder die Farbe von den Wänden blättern, aber auch die breiten Stufen hin zur Bühne steigen. Dafür kommt anderes Leben in die Bude: Wie die letzten beiden Sommer prangt auch jetzt das Banner „regionale – kapitale“ an der Kastanienallee – klingt ganz modisch postmodern, weil mit „Peripherie“ und „Zentrum“ spielend. Das vom 1. bis zum 6. August stattfindende Festival für Theater, Film und Musik verkörpert tatsächlich das Randständige im Zentrum, wird es doch im Kultbezirk Prenzlauer Berg von einem per Satzung schon jeglicher Trendyness unverdächtigen Veranstalter ausgerichtet: der für die Kultur zuständigen Abteilung des Bezirksamts.

Außerdem befinden sich im Publikum auffallend viele Vertreter jener Generation, die schon vor zwei Jahrzehnten am Mythos des Bezirks mitbastelte, jedoch durch die optische „Twenification“ von den angesagten Orten Kollwitzstraße und Kastanienallee verdrängt wurde.

Mancher langer, ergrauter Haare wegen weht also ein leichter Althippiehauch durch das Festival, das sich laut Ankündigung „Verbrechen und anderen Kleinigkeiten“ widmet. Berlins bekanntester Krimineller Werner Gladow besetzt den Ehrenplatz am Wochenende. Annette Gröschner und Grischa Meyer lesen aus dem „Fallbeil“, einer Textsammlung über den jugendlichen Bandenführer und Al Capone von Friedrichshain sowie seine kriegs- und knastgestählten Experten. Im Kiez waren sie als neue Robin Hoods beliebt, die der Polizei immer wieder entwischten. Nach den szenischen Lesungen (20 Uhr) wird am Samstag um 22 Uhr „Engel aus Eisen“ (1980), ein Spielfilm von Thomas Brasch mit Katharina Thalbach und Hilmar Thate, gezeigt und am Sonntag um 22 Uhr eine Hörcollage von Klaus Buhlert erstmals öffentlich aufgeführt.

Vor den Verbrechen startete das Festival mit den Kleinigkeiten, vornehmlich aus der Rubrik „Wunder“. Die mittelalterliche „Legende der Heiligen Kümmernis“ ist die wundersame Geschichte einer Rettung. Gott höchstpersönlich verleiht einer in Bedrängnis geratenen Maid einen Vollbart, worauf der schon fast in sie eingedrungene Husar spornstreichs von ihr ablässt. Regisseurin Marie-Thérèse Wittmann schreibt dieses Verhütungsmirakel in einen Gender-Slapstick aus Film und szenischem Spiel um. Der Bart als Geschlechtermacher, der dem Husaren aus dem Gesicht geschnitten wird. Seiner Männlichkeit beraubt, gerät er in eine tiefe Identitätskrise – und kommt dann doch noch bartlos zu seinem bärtigen Mädchen.

Leider stellte sich die Performance als brav umgesetztes Thesenpapier heraus – vorhersehbar die Figurenführung, berechenbar die Gags. Andererseits auch nicht konsequent genug, um mit der vielleicht auch produktiven Penetranz eines Lehrstückes daherzukommen.

Im Anschluss konnte man sich dafür mit Carl Theodor Dreyers legendärem Stummfilm „Die Passion der Jeanne d’Arc“ (1928) entschädigen. In seinen streng komponierten, eindringlichen Bildern zeigt der dänische Regisseur exemplarisch, dass Heldentaten unter der falschen Geschlechtsidentität nun mal Verbrechen sind.

Die Zweiteilung in Performance und Film prägt übrigens auch die nächsten Abende. Herauszuheben sind vielleicht die Performance „Up Art/Plassma“ und Tod Brownings bestürzender Zirkusklassiker „Freaks“, der am Freitag zu sehen ist.

TOM MUSTROPH

Festival „regionale – kapitale“,vom 1. bis 6. August im Prater,Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg