Danke, „FAZ“! Danke! Danke!

Deutsche Dichter gratulieren der „Frankfurter Allgemeinen“ zur neuen Rechtschreibung

Ich habe geschwiegen. Gegen meine Überzeugung. Ich war zu feige, mit einer Unterschrift zu protestieren

Dank der FAZ kann ich mir endlich eine schwere Belastung von der Seele schreiben. Ein Geständnis. Wiedergutmachung leisten.

Es fällt mir nicht leicht, aber ich gestehe. Am Ende des letzten Jahrtausends, als das deutsche Schriftstellervolk fast wie ein Mann geschlossen gegen den übelsten Staatsterror, den unser Land je erleben mußte, todesmutig aufgestanden ist, angeführt von einem tapferen Deutschlehrer aus dem oberbayerischen Weilheim: da habe ich geschwiegen. Gegen meine Überzeugung. Ja, ich war zu feige, auch nur mit einer kleinen Unterschrift gegen die Rechtschreibreform zu protestieren. Sogar lustig habe ich mich gemacht über meine heldenhaften Kollegen. Arrogant behauptet, sowieso nur meinen eigenen Regeln zu folgen.

Allerdings bin ich genug dafür bestraft worden. Mit Albträumen, quälenden. Jede Nacht war ich der alte Mann, den seine Tochter befragt: Wo warst du, als so viele ß von den ss ausgelöscht wurden? Warum hast du nichts gegen den Terror der fff getan? Und besonders schlimm: Sie glaubt mir nicht, daß ich von Repressalien gegen Leute aus dem Widerstand nichts gewußt habe. Zuletzt hält sie mir ein Buch von Walser hin: Der hatte den Mut, bei der richtigen Rechtschreibung zu bleiben, trotz Beleidigung, Haft und Folter! Da wache ich schreiend auf. Jede Nacht.

Dank der FAZ aber habe ich jetzt eine zweite Chance bekommen! Mit beispielloser Courage ist das Blatt am 1. 8. 2000 zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt. Und wieder stehen die Schriftsteller fast wie ein Mann geschlossen, um den schon verloren geglaubten Kampf wieder aufzunehmen, und diesmal, ja, bin ich dabei! Und wie sie alle voller Dank für die FAZ. Denn es gibt „jetzt keinen Anlaß mehr, die Flinte ins Korn zu werfen. Dank der F.A.Z.“, wie es Christian Meier, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, formuliert hat. Ja, ich bin stolz darauf, in dieser Menge tapferer, auch glanzvoller Gestalten zu stehen. In respektvollem Abstand zum großen Grass, versteht sich: „Die F.A.Z. darf weiter den größten Unsinn über mich publizieren, wenn es nur in der alten Rechtschreibung gedruckt wird.“ Und das ist nur eine von fast 2.000 glücklichen Stimmen.

Peter Hacks, Stefan Heym und Hermann Kant haben sogar per Telegramm eine andere Zeitung zur Solidarisierung aufgefordert: „Rückkehr zur deutschen Rechtschreibung kann betrachtet werden als möglicher erster Schritt einer Rückkehr zur deutschen Kultur.“ Genau. Wobei ich doch sagen würde: muß! Muß betrachtet werden! Und sogar Monika Maron – unvergessen ihre Interview-Aussage „alle Länder der Welt erlauben es sich, die Deutschen zu beleidigen, und ich frage mich manchmal, ob wir nicht völlig verrückt sind, daß wir uns nicht wehren“ – fühlt sich gerettet: „Spätestens nachdem ich meine eigenen, in die neue Rechtschreibung übersetzten Texte korrigieren und die Verantwortung für den sprachlichen Unfug übernehmen sollte“, habe sie „inständig gehofft“ auf so eine Aktion; wie auch Günter Kunert: „Der Anschlag von Beamten ist damit in Deutschland diesmal hoffentlich mißlungen.“ Ich empfinde kaum anders als Karsten Jerosch, für ihn ist die FAZ „ein Stück Heimat geworden. Ich glaube, unsere alten Dichter und Denker wären stolz auf Sie.“ Auch die Erfahrungen von Lutz Rathenow sind mir vertraut: „Alle Menschen und Schriftsteller, die ich kenne, hielten die Reform für falsch bis peinlich. Die einen kritisierten ihre gedanklichen Ansätze, die anderen, daß diese inkonsequent und im Ergebnis verwirrend geplant worden seien . . . ‚Sterben will gelernt sein‘ heißt mein neues Buch. Das gilt auch für das Sterbenlassen sinnloser Reformansätze.“ Doch besonders berührt hat mich Andreas Meier, der schon „in die innere Rechtschreib-Emigration“ gegangen war, aber „Sie haben auch mich wieder in mein eigenes Sprachland befreit.“

Dem großen Walser blieb es vorbehalten, die verbreitete Euphorie etwas zu dämpfen: „Mal sehen, ob Mut ansteckend wirkt oder ob der organisierte Opportunismus siegt.“ Dennoch, in dieser Kampfstimmung könnte die deutsche Schriftstellerschaft sogar den Neonazis Angst machen, habe ich den Eindruck.

Ein Freund und Kollege las dieses Geständnis. „Machst du jetzt gemeinsame Sache mit diesen Irren?“, fragte er. Ich wurde aggressiv: „Wen meinst du damit?“ Was die Rechtschreibung betrifft, da braucht mir keiner mehr blöd zu kommen. Danke, FAZ, vielen Dank. FRANZ DOBLER